21C3: Demokratie-Hacks, Weblogs und freie Meinungsäußerung

Der Internet-Unternehmer und Blogger Joi Ito zeigte auf dem Hackerkongress die Geburt einer neu "auftauchenden Demokratie" aus dem Geist des Internet auf.

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Nachdem in Japan 2002 eine von zahlreichen Gruppierungen der Zivilgesellschaft getragene Kampagne gegen die Einführung von Ausweisen mit einer allgemeinen Personenkennziffer scheiterte, fiel es Joi Ito wie Schuppen von den Augen: "Das politische System ist kaputt." Wenige Monate später verlegte er sich aufs Bloggen -- und glaubt nun in der Blogosphäre die Geburt einer neue "auftauchenden Demokratie" aus dem Geist des Internet zu erleben. Als kollektive Einheit ist das Universum der Weblogs schlauer als seine einzelnen Teile, wandelt der ehemalige Internet-Unternehmer, Wagniskapital-Geber und Webjournal-Betreiber eine alte Philosophen- und Physikerweisheit ab. Dieses Phänomen "können wir nutzen, um die Demokratie zu reparieren", erklärte er den Hackern auf dem 21. Chaos Communication Congress (21C3) in Berlin.

Seine Thesen hat der umtriebige Japaner, der momentan auch im Direktorium der Netzverwaltung ICANN sitzt, in einem Essay unter dem Titel "Emergent Democracy" niedergeschrieben. Das Papier sei eventuell ein wenig "zu optimistisch" gewesen, gibt Ito inzwischen zu. Aber grundsätzlich hält er an seiner Idee fest. Standesgemäß hat er den Text zur kollaborativen Weiterbearbeitung in einem Wiki zur Verfügung gestellt. Ganz neu ist die Idee der sich aus neuen Medien anders herauskristallisierenden Demokratie allerdings nicht.

Weblogs betrachtet Ito als exzellent für die Meinungsbildung, weil sie ein Mittelding darstellen zwischen reinen statischen Websites, auf denen man Besucher nur schwer halten könne, sowie Mailinglisten, die immer wieder die Aufmerksamkeit der Nutzer überstrapazieren würden. Die Online-Journale entsprächen dagegen mit ihren einfachen Schnittstellen für das Hochladen von Inhalten sowie standardisierten Möglichkeiten zur "Content-Syndication" der "traditionellen Ethik des Internet". Vor allem die Trackback-Funktion, mit der Blogger ihre Einträge gegenseitig weitgehend automatisch verlinken, haben laut Ito "den Internet-Diskurs komplett verändert." Die Online-Kommunikation gestalte sich nun wie bei einer Cocktail-Party: Wenn etwas interessant sei, werde es sofort in die allgemeine Konversation aufgenommen. Uninteressante Beiträge würden einfach ignoriert.

Die daraus auch erwachsende Wirkung und "Macht der Blogger" veranschaulichte der Japaner mit der Enthüllung eines Fälschungsskandals rund um den Nachrichtenfrontmann des US-Senders CBS, Dan Rather, während des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfs. Hier würden sichtbar alte Autoritäten "zerstört". Eine weitere Stärke von Weblogs liege darin, Themen rasch aufzugreifen und zu verbreiten. Ito verwies dabei auf die asiatischen Blogger, die nach dem tödlichen Seebeben im Indischen Ozean innerhalb weniger Sekunden ins Zentrum der Blogosphäre gerückt seien.

Spätestens mit dem Schicksal Howard Deans wurde Ito aber klar, dass sich die ersehnte Stärkung der Demokratie nur über das Bauen von Brücken zu den Massenmedien und den Apparaten der "alten" Politikwelt erreichen lässt. Dean hatte als Präsidentschaftskandidatenanwärter der Demokraten vor allem das Internet eingesetzt. Er war Anfang des Jahres im Vorwahlkampf gescheitert, als das Fernsehen dabei eine größere Rolle einzunehmen begann. Nur aus einem neu austarierten Zusammenspiel der Medien und Institutionen könne "eine gemeinsame Infrastruktur für die freie Meinungsäußerung" entstehen, so Ito. Um dieses zu diskutieren, haben Blogaktivisten bereits ein neues Forum in Form des Gemeinschaftsjournals Global Voices Online ins Netz gestellt.

Sich in anderen politischen Blogs zu engagieren ist laut Ito dringend ratsam, da das Selbstregulierungsprinzip des Internet durch offene Zensurbestrebungen von Regierungen sowie das technische Hilfsmittel Digital Rights Management (DRM) bedroht sei. Vor allem mit Mobiltelefonen werde das Internet immer stärker Teil der "realen" Welt, sodass die etablierten Mächte nicht mehr darüber hinwegsehen können. Ito erwartet daher in Bälde einen orchestrierten "Angriff auf das offene Internet", auf den sich gerade die Hacker mithilfe von Technologien zum Schutz der Netzstrukturen vorbereiten sollten. (Stefan Krempl) / (pmz)