Warnung vor neuem Amoklauf verschärft "Killerspiele"-Debatte

Nach der Online-Ankündigung einer Bluttat in Baden-Württemberg und Panikreaktionen an Schulen hat sich auch Landesvater Günther Oettinger für ein Verbot ausgesprochen. Die Bundesregierung winkt aber weiter ab.

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Nach der Online-Ankündigung einer Bluttat in Baden-Württemberg und Panikreaktionen an Schulen in Offenburg am heutigen Mittwoch hat sich auch Landesvater Günther Oettinger für ein striktes Verbot von "Killerspielen" ausgesprochen. Er halte eine Verschärfung des einschlägigen Paragraphen 131 im Strafgesetzbuch (StGB) für notwendig, äußerte sich der baden-württembergische Ministerpräsident prinzipiell wohlwollend gegenüber einer entsprechenden "Diskussionsgrundlage" des bayerischen Innenministers Günther Beckstein (CSU). Der CDU-Politiker schränkte aber ein, dass eine solche Verschärfung des bereits bestehenden Verbots von Gewaltdarstellungen in Medien durchsetzbar sein müsse.
Noch entschlossener zeigte sich der baden-württembergische Kultusminister Helmut Rau. "Das braucht die Menschheit nicht, und damit dürfen auch keine Geschäfte gemacht werden", wandte sich der CDU-Politiker gegen brutale Computerspiele. Ihm sei bei der Betrachtung solcher Mediendarbietungen regelrecht schlecht geworden. Allerdings warnte Rau davor, ein solches Verbot als rein symbolische Handlung gesetzlich zu verankern. Führende Vertreter der baden-württembergischen CDU schlossen sich so im Grundsatz der Haltung Bayerns an, das gestern einen Gesetzentwurf gegen Gewalt verherrlichende Computerspiele angekündigt und dafür Rückhalt in Niedersachsen und Brandenburg gefunden hatte. Mit dem Vorstoß sollen im Falle der Zuwiderhandlung gegen das geplante Verbot Hersteller, Händler und Käufer von Killerspielen mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft werden können.
Der Generalsekretär der baden-württembergische SPD, Jörg Tauss, hat die Forderungen dagegen als "populistisches dummes Zeug" zurückgewiesen. "Ein Computerspiel kann nicht schuld an der Gewalttätigkeit eines Menschen sein", sagte der auch als Medien- und Bildungsexperte der SPD-Bundestagsfraktion fungierende Politiker der ddp. Da kämen viele Faktoren zusammen. Er sprach sich stattdessen für den verstärkten Einsatz von Sozialarbeitern und Psychologen an Schulen aus. Zusammen mit Eltern und Lehrern müssten "auffällige Schüler in einer auswegslosen Situation" herausgefunden und angesprochen werden.
Die Polizei in Offenburg teilte derweil mit, dass ein 18 Jahre alter Schüler tot in einem Waldstück in Meißenheim bei Lahr (Ortenaukreis) gefunden worden sei. Sie geht davon aus, es sich um den jungen Mann handelt, nach dem im Zusammenhang mit der Warnung vor einem Amoklauf gefahndet wurde. Die Behörden hatten nach Angaben des Innenministeriums in Stuttgart schon zuvor den "vagen Verdacht", dass es dieser Schüler gewesen sei, der im Internet ein Verbrechen an einer Schule angedroht hatte. Als Fan von Killerspielen und introvertierter Einzelgänger habe er "ins Raster" gepasst, meinte ein Ministeriumssprecher.
Die Bundesregierung steht gesetzgeberischen Schnellschüssen derweil weiter skeptisch gegenüber. Eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums gab zu Bedenken, dass der Vorstoß Becksteins der geltenden Rechtslage mehr oder weniger entspreche. In dem Änderungsvorschlag aus Bayern sei "keinerlei strafrechtlicher Mehrwert zu erkennen". Im Gespräch sind zwischen Bund und Ländern allerdings mögliche Veränderungen bei der Indizierung von Spielen und Filmen. Ein Sprecher des Familienministeriums bekundete, dass es hier Überlegungen zu Verbesserungen gebe. Zunächst sei aber die Evaluierung der 2003 erfolgten Reform der Jugendschutzgesetzgebung abzuwarten.
Die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) hat die bayerische Verbotsinitiative ebenfalls als überflüssig kritisiert. "Deutschland hat weltweit das strengste Jugendmedien-Schutzsystem", sagte USK-Chefin Christine Schulz der der Netzeitung. "Wenn Menschen ohne genaue Recherche über die Unzulänglichkeiten des gesetzlichen Jugendschutzes befinden, ist das problematisch." Als Killerspiel werde häufig das auch in Deutschland von Millionen junger Leute gern gespielte "Counter-Strike" bezeichnet, sagte Schulz. Die Fangemeinde spiele das Spiel jedoch nicht, "um Menschen zu töten". Vielmehr stehe Teamarbeit im Vordergrund und das Vermögen, sich taktisch durchzusetzen. "Wie man Menschen töten kann, lernt man dabei nicht, das lernt man meines Wissens nur in einer Armee." Insofern sei auch der "Automatismus nicht wissenschaftlich erwiesen", dass ein Zusammenhang zwischen Computerspielen und Amokläufen wie in Erfurt oder Emsdetten bestehe.
Bodo Ramelow, Vizechef der Linken im Bundestag, zeigt sich angesichts der Verbotsdebatte um die so genannten Killerspiele gar genervt und schloss sich der Meinung anderer Oppositionspolitiker an: "Jedes Mal, wenn es ein Massaker gibt, geht die Debatte um die virtuelle Welt los – ohne dass die Leute davon Ahnung haben." Der Abgeordnete aus Thüringen fordert auch von Politikern Medienkompetenz ein. "Counter-Strike und andere Spiele gehören in Alterklassifizierungen, aber nicht ins Strafrecht", betonte Ramelow. Beckstein solle sich einmal vorurteilsfrei die Counter-Strike-Community anschauen, empfiehlt der Linkspolitiker. Die Computerspieler bemühen sich derweil auch selbst um Initiativen zum Widerstand gegen ein pauschales Verbot. So hat der Verein Medialog etwa zu einer Protestaktion aufgerufen und eine entsprechende Petition mit Unterschriftenformular ins Web gestellt.
Auch zahlreiche andere Experten äußern Zweifel an der bayerischen Initiative. "Ein solches Gesetz bewirkt nur eine Kriminalisierung von Kindern und Jugendlichen, nicht aber ihren Schutz", glaubt die Leiterin der niedersächsischen Landesstelle Jugendschutz, Andrea Urban. "Wer sich etwas beschaffen will, der wird es auch bekommen", ist auch die Ansicht von Theresia Höynck, Juristin am Kriminologischen Forschungsinstitut in Hannover. Mit einem Verbot könne man "unsere Jugend nicht harmloser machen, das ist nur ein kleines Zahnrad in einem ganzen System", erläuterte zudem der Medienwissenschaftler Christoph Klimmt aus Hannover im Gespräch mit der dpa. Bei Amokläufern handele es sich um "krasse Einzelfälle". Der intensive Gebrauch von Gewaltspielen könne aber das "antisoziale Verhalten" von Jugendlichen verschlimmern. Heranwachsende mit familiären Problemen, schulischen Schwierigkeiten und Problemen im Freundeskreis seien besonders anfällig.
  • "Ich hasse es, überflüssig zu sein": die erwartbaren Reaktionen und Verdächtigen - einmal wieder wird die Ursache des Amoklaufs in Emsdetten bei den "Killerspielen" gesucht; Artikel in Telepolis
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