Niedersachsen sieht Mehrheit für "Killerspiele"-Verbot gesichert

Der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann geht fest vom Erfolg einer Bundesratsinitiative zur Verschärfung des Jugendschutzes aus, während Verbände von Spieleherstellern vor Grundrechtseingriffen warnen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 916 Kommentare lesen
Lesezeit: 7 Min.
Der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann geht fest vom Erfolg einer Bundesratsinitiative für ein Verbot von "Killerspielen" auf Basis der Arbeitshypothese seines bayerischen Amtskollegen Günther Beckstein (CSU) zur Verschärfung des Gewaltdarstellungsparagraphen 131 im Strafgesetzbuch (StGB) aus. Der CDU-Politiker zeigte sich im rbb entschlossen, "wahrscheinlich" im Februar einen entsprechenden Gesetzesentwurf in der Länderkammer einzubringen. Der Minister weiter: "Und dann bin ganz sicher, dass es dafür eine breite Mehrheit gibt, auch anschließend im Bundestag."
Gleichzeitig äußerte sich Schünemann "verwundert" über Bundesjustizministerin Brigitte Zypries. Das Haus der SPD-Politikerin sieht keinen "strafrechtlichen Mehrwert" in dem von Ländern wie Niedersachsen, Baden-Württemberg, Brandenburg oder Hessen befürworteten Vorschlag Becksteins. Schünemann erinnerte Zypries daran, dass sie an die Koalitionsvereinbarung "gebunden" sei. Darin werde ein Verbot für "Killerspiele" ausdrücklich aufgeführt. Allerdings skizziert der Vertrag von Schwarz-Rot eine entsprechende Jugendschutzverschärfung nur als ein mögliches Handlungsfeld und mahnt zunächst eine rasche, inzwischen bereits laufende Evaluierung der jüngsten Gesetzesreformen von 2003 an.
Der Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU) lehnt die erneuten Verbotsforderungen dagegen ab. Er rief zu einer sachlicheren Diskussion auf und verwies auf das bereits bestehende strenge Jugendschutzsystem. "Eine weitergehende staatliche Inhaltskontrolle verstößt gegen das Zensurverbot des Grundgesetzes", warnt der BIU. Die von Bayern geplante Verbotsregelung sei ein unangemessener und rechtswidriger Eingriff in die Grundrechte der Produzenten, Anbieter und Nutzer in Deutschland. Der Verband warnte daher "vor einer pauschalen Kriminalisierung und Stigmatisierung von Unterhaltungssoftware." Zugleich kritisierte er, dass die "teilweise offen zu Tage tretende Unkenntnis über die rechtliche und tatsächliche Ausgestaltung des deutschen Jugendmedienschutzes" zu einer inakzeptablen Verbotsdebatte in den Medien führe.
Ähnlicher Ansicht ist der Bundesverband der Entwickler von Computerspielen (GAME). "Es ist beängstigend, wie platt hier auf Spiele-Entwickler eingedroschen wird", sagte Hauptgeschäftsführer Stefan Reichart der Welt. Er geht davon aus, das "99,9 Prozent" der von GAME-Mitgliedern produzierten Spiele weniger brutal sind als der neue James-Bond-Film "Casino Royale". Es sei nicht einzusehen, "wieso Erwachsenen ein Recht auf brutale Action-Filme, Horrorschinken und ähnliches Zeug eingeräumt wird, aber ausgerechnet Computerspiele in Frage gestellt werden".
Der innen- und rechtspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Stephan Mayer, liebäugelt derweil im Gegensatz zu Teilen der SPD sowie zur gesamten Opposition mit den Länderforderungen: "Computerspiele, in denen auf eine erschreckend realitätsnahe und häufig besonders brutale Art und Weise das massenhafte Töten von Menschen simuliert wird", sind ihm zufolge "absolut inakzeptabel". Zwar werde nicht jeder Spieler zum Amokläufer. Unter bestimmten Bedingungen könnten solche Spiele aber "offenbar als verhängnisvolle Initialzünder wirken". Vor dem Cottbuser Landgericht hat unterdessen ein 19-Jähriger die Tötung eines Obdachlosen gestanden, bei der er Aktionen aus dem Spiel "SmackDown vs. Raw 2006" imitiert habe. Er hatte nach eigenen Angaben viel Bier getrunken, als er das spätere Opfer an einer Straßenbahnhaltestelle traf. "Da kamen die Bilder von dem Computerspiel mit Fußtritten und Faustschlägen in mir hoch, und ich wollte das nachmachen", gab er vor der Jugendstrafkammer an.
In Baden-Württemberg steht die Polizei dagegen nach im Internet veröffentlichten Warnungen vor einem Amoklauf an einer Schule im Südwesten wieder am Anfang der Ermittlungen. Ein Sprecher der Polizei in Offenburg sagte am heutigen Donnerstag, man sehe keine Verbindung zwischen einem tot aufgefundenen 18-Jährigen und der Androhung eines Schulüberfalls. Die Auswertung des Computers des Schülers habe keine Hinweise auf eine mögliche Gewalttat ergeben. "Killerspiele" seien nicht gefunden worden. Der Rummel um die Amokdrohung hat in ganz Deutschland zahlreiche Nachahmer auf den Plan gerufen: In Achern etwa, nur 20 Kilometer von Offenburg entfernt, hat die Polizei drei Männer im Alter von 19, 23 und 35 Jahren festgenommen. Einer von ihnen gestand, auf der Internetseite der Landespolizei sich einen Jux rund um eine weitere Bluttat erlaubt zu haben.
Die "Internet-Agenten" der Münchner Firma P4M (Partners for Management) machen derweil darauf aufmerksam, dass gemäß einer eigenen Untersuchung 100 Prozent der analysierten jugendgefährdenden Spiele und 89 Prozent der nicht-jugendfreien Spiele online "illegal" in Tauschbörsen wie eDonkey oder BitTorrent verfügbar seien. Die Überprüfung der P2P-Netze zeige, dass auch indizierte Spiele "online für jedermann, also auch für Kinder und Jugendliche mit Internetzugang problemlos zugänglich sind", ereifert sich Petur Agustsson, technischer Direktor bei P4M, über einen online "nicht greifenden Jugendschutz".
  • "Ich hasse es, überflüssig zu sein": die erwartbaren Reaktionen und Verdächtigen - einmal wieder wird die Ursache des Amoklaufs in Emsdetten bei den "Killerspielen" gesucht; Artikel in Telepolis
  • "Ich will R.A.C.H.E": der vollständige Abschiedsbrief, den Bastian B. im Internet hinterlassen hat, bevor er auf seinen suizidalen Rachefeldzug in seiner Schule in Emsdetten zog; Artikel in Telepolis