Zweifel an der Überlebensfähigkeit des Patentsystems

FFII-Präsident Pieter Hintjens hat den Fortbestand des Patentwesens an eine Reihe von Bedingungen geknüpft. Die Verfechter des Systems sehen sich allgemein verstärkt in der Defensive.

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Pieter Hintjens, Präsident des Fördervereins für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) hat den Fortbestand des Patentwesens an eine Reihe von Bedingungen geknüpft. In zehn Jahren werde es das Patentsystem nicht mehr geben, falls die Befürworter der gegenwärtigen Schutzbestimmungen nicht unter anderem ihre Polemik stoppen, Interessenskonflikte innerhalb ihrer Reihen lösen und zu den Grundlagen des Anreizverfahrens gewerblicher Schutzrechte zurückfänden. Das System sei nicht dazu da, "um die Rechtehalter reich zu machen", konstatierte Hintjens am heutigen Freitag auf dem auf dem von Premier Cercle organisierten "Gipfeltreffen" der "Intellectual Property"-Gemeinde, dem "IP Summit" in Brüssel. Bei Eigentumsrechten handle es sich zudem generell nicht "um natürliche Rechte", sondern um bewusst von Regierungen geschaffene Werkzeuge.

"Einfach nur zu behaupten, dass das Patentsystem eine Wirtschaft besser macht, ist eine Simplifizierung und geht nach hinten los", betonte der Softwarepatentgegner. Auch die Behauptung, dass Europa hinter Ländern wie den USA oder Japan beim Schutz geistigen Eigentums hinterherhinke, würde durch die Wirtschaftszahlen widerlegt. Es könne zudem nicht angehen, dass dieselben Leute, welche die Patentpolitik vorantreiben, dann auch von der Verwaltung des Systems profitieren, forderte Hintjens das Europäische Patentamt (EPA) zu mehr Zurückhaltung beim Lobbying auf. Auf was es dagegen ankomme, sei die öffentliche Wahrnehmung des Patentsystems. Dabei habe nicht zuletzt die vom Blackberry-Fall angezogene Aufmerksamkeit vielen gezeigt, dass im Patentwesen etwas falsch laufe. Es sei für die Verteidiger des Systems im eigenen Interesse, mit kritischen Reformbewürwortern wie dem FFII zusammenzuarbeiten.

Die Vertreter starker geistiger Eigentumsrechte sehen sich derweil generell verstärkt in die Defensive gedrängt. "Wir müssen die Grundlagen, die das System rechtfertigen, besser artikulieren", erklärte Thaddeus Burns, bei Senior Corporate IP Counsel bei General Electric (GE) in Europa. "Wir müssen dabei nach Wegen suchen, die empirischen, faktischen und vielleicht sogar wissenschaftlichen Belege zu verbessern." Der konkrete Wert geistigen Eigentums und die Auswirkungen auf die Wirtschaft seien herauszuarbeiten und vor allem junge Menschen darüber aufzuklären, dass es solche Werte gibt und dass diese auch mit rechtlichen Regeln verknüpft sind.

Aus dem Scheitern der EU-Richtlinie über die Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen" hat die Geistige-Eigentums-Lobby derweil gelernt. In eine solche Richtung rund um eine Debatte der Ausweitung substanzieller Grenzen der Patentierungsmöglichkeiten dürfe man nicht mehr gehen, empfahl Burns. An diesem Punkt gebe es nämlich Verständnisprobleme im EU-Parlament. Stattdessen riet der GE-Vertreter, den Fokus stärker auf eine neue strukturelle Ausrichtung des Patentsystems zu richten. Dabei könne es um Fragen gehen, wie der Rückstau der Anträge bei Patentämtern in Europa aufgelöst oder das System insbesondere auch für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) einfacher gemacht werden könne.

Burns hält es dabei weniger vordringlich, das umstrittene European Patent Litigation Agreement (EPLA) zur besseren Durchsetzung bestehender Monopolansprüche über ein übergeordnetes Patentgericht voranzutreiben. Ihm erscheint das Londoner Übereinkommen wichtiger, da es nicht nur den Konzernen durch die Reduzierung der Anzahl erforderlicher Übersetzungen von Patentansprüchen viel Geld spare, sondern das System endlich auch für KMU erschwinglich mache. Und wenn diese "einmal Patente als Instrumente zur Umsatzgenerierung sehen, haben wir eine viel stärkere Verbindung zwischen dem System und der demokratischen Gemeinschaft". Generell dürften die Rechteverfechter nicht nur "technisch" Experten unter Politikern, sondern die Zivilgesellschaft stärker allgemein mit einfach verständlichen Argumenten ansprechen.

Ein französischer Patentanwalt gab allerdings zu bedenken, dass auch bei der Selbstkritik nur von ökonomischen Argumenten die Rede sei und kulturelle Fragen außen vor gelassen würden. KMU etwa würden fürchten, dass mit dem Londoner Übereinkommen vor allem große Unternehmen wiederum mehr Patente beantragen würden und sie die gestellten Ansprüche mangels Übersetzung in die eigene Sprache dann überhaupt nicht mehr verstehen könnten.

Zum Patentwesen sowie zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente und um die EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit "computer-implementierter Erfindungen" siehe den Online-Artikel in "c't Hintergrund" (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den aktuellen Meldungen):

(Stefan Krempl) / (jk)