Soziales Netzwerk mit orientalischem Flair

d1g.com konzentriert sich ganz auf den arabischsprachigen Markt und will Facebook damit ein Schnippchen schlagen.

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Von
  • Matthew Kalman

d1g.com konzentriert sich ganz auf den arabischsprachigen Markt und will Facebook damit ein Schnippchen schlagen.

In der arabischen Kultur ist ein Diwan ein Rat, ein sozialer Austauschpunkt oder auch ein politischer Ort. Das soziale Netzwerk d1g.com (sprich: "diwanji") versucht, diese Institution ins Netz zu übertragen – in direkter Konkurrenz zu Facebook und anderen US-Angeboten.

Mittlerweile hat die 2007 in Jordanien gestartete Seite sich zu einer Plattform zum Austausch von Videos, Fotos und Audiodateien entwickelt, ein Forum und eine Frage-und-Antwort-Site gehören ebenfalls dazu. Zwar sind Twitter und andere US-Angebote noch größer, doch gehört d1g.com mit mehr als 13 Millionen Mitgliedern zu den am schnellsten wachsenden Diensten in der arabischen Welt. 5,6 Millionen eindeutige Besucher im Monat treffen auf 15 Millionen Videos. Das Angebot streamt mehr arabischsprachige Videos als jede andere Seite – 600 Terabyte im Monat. Erfolgsgeheimnis scheint dabei zu sein, dass sich der Dienst an örtliche Gepflogenheiten hält.

"Die Leute wollen unbedingt arabische Inhalte", sagt Marwan S. Juma, der frühere jordanische Informations-, Kommunikations- und Technologieminister. "Hier gibt es ganz klar eine Nische, eine große Chance. Es geht nicht nur um die Inhalte, es geht um die Kultur. Wie kann man Inhalte für ein regionales Publikum relevant machen? Es reicht nicht, einfach etwas auf Englisch zu nehmen und zu übersetzen."

Fast 100 Prozent der d1g.com-Inhalte sind nutzergeneriert und die professionellen Inhalte werden im eigenen Studio auf Arabisch produziert. Anfangs beschäftigte sich der Dienst mit Hobbythemen von Filmen bis zu Motorrädern. Inzwischen wurde er zum populärsten sozialen Netzwerk im arabischen Raum hinter Facebook und Twitter. Bei der Revolution in Ägypten gründete ein Mitglied das Forum "Egyptstreet", das sich schnell als enorm populär erwies.

"Unser Datenverkehr hat stark zugenommen", sagt Fouad Jeryes, der den Bereich Geschäftsentwicklung bei d1g.com von der Zentrale in Amman aus leitet. Zwei Millionen eindeutige Besucher mehr im Monat versammelte die Seite in dieser Zeit.

Noch dominieren Facebook und Twitter aber auch diese Region, da sie sich mittlerweile auch auf Arabisch bedienen lassen. Trotzdem nehme die Zahl derer zu, die lokale Angebote bevorzugten, meint Jeryes. "Von unseren Inhalten bis zur Benutzerschnittstelle ist bei d1g.com alles auf arabische Nutzer ausgerichtet und angepasst."

Die Technik orientiert sich ebenfalls an den örtlichen Gegebenheiten. Außerhalb von Jordanien haben viele Nutzer kaum mehr als 0,5 bis 1 Megabit pro Sekunde zur Verfügung. Außerdem gibt es noch viele Modem-Nutzer. Für Videostreams ist das problematisch.

"Wenn man ein Video auf YouTube stellt und ein Video auf d1g.com, dann wird das bei uns schneller loslaufen, jedenfalls in der arabischen Welt. Wir reduzieren die Qualität zwar etwas, aber das Video kommt schneller zu den Nutzern."

Abdelmajeed Shamlawi, Leiter der jordanischen Gesellschaft für Informationstechnologie, glaubt, Menschen aus dem arabischen Raum, die kein Englisch sprechen, hätten Vorbehalte bei den großen ausländischen Angeboten. "Bei Twitter und Facebook glaube ich nicht daran, dass die Leute die arabischen Versionen aufrufen. Im saudischen Raum sind die Abrufe von d1g.com fast so groß wie die von Facebook. Es geht dabei weniger um arabische Inhalte als um die kulturellen Unterschiede. Es geht um das Nutzerverhalten."

Allerdings schließt die Anpassung an örtliche Gegebenheiten bei d1g.com auch Zensur mit ein. Fünfzig Moderatoren prüfen jeden Upload und entfernen Material, das kulturell "anstößig" oder politisch "gefährlich" sein könnte.

Mahmoud Jalajel, ein bekannter jordanischer Blogger und IT-Unternehmer, glaubt, dass die arabische Welt noch nicht bereit ist für das ungezügelte westliche Web. "Wer als Junge ein Forum aufmacht, muss damit rechnen, dass es sich auch der Vater anschaut. Wenn der da dann Nacktbilder findet, wird er der ganzen Familie das Internet kappen." (bsc)