Bundesregierung soll gegen EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung klagen

Der rechtspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Jerzy Montag, hat einen Gruppenantrag initiiert, mit dem die Bundesregierung zur Klageerhebung gegen die pauschale Telekommunikationsüberwachung aufgefordert werden soll.

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Der rechtspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Jerzy Montag, hat einen Gruppenantrag initiiert, mit dem die Bundesregierung zur Klageerhebung vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen die heftig umstrittene EU-Richtlinie zur verdachtsunabhängigen Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten aufgefordert werden soll. Laut dem Antrag erfolgte die Annahme der weitgehenden Maßnahme zur pauschalen Überwachung der elektronischen Spuren der 450 Millionen EU-Bürger auf Basis einer falschen Rechtsgrundlage. Da es sich um eine reine Angelegenheit der Strafverfolgung handle, hätte der EU-Rat einen entsprechenden Rahmenbeschluss treffen müssen. Das von der EU-Kommission letztlich gewählte Richtlinienverfahren sei der falsche juristische Weg gewesen. Der Antrag, der Anfang Juni in 1. Lesung behandelt werden soll, wird laut Montag von "Abgeordneten aus mehreren Fraktionen unterstützt". Angesichts des gewählten Gruppenverfahrens können sich aber noch weitere Parlamentarier dem Bestreben anschließen und den Antrag mit einbringen.

"Die Richtlinie verpflichtet Telefonanbieter, die Verbindungsdaten all ihrer Kunden für mindestens sechs Monate zu speichern, damit Strafverfolgungsbehörden bei Bedarf darauf zugreifen können", erläutert Montag die Beweggründe für seine Initiative. Die strafrechtliche Stoßrichtung der Maßnahme sei damit klar. Solche Regelungen müssten nach geltendem EU-Recht aber von den Mitgliedstaaten im Rat einstimmig angenommen werden. "Weil diese Einstimmigkeit absehbar nicht zu erreichen war, hat sich die Kommission mit fadenscheinigen Argumenten der Form der Richtlinie bedient, die dann mit Mehrheitsbeschluss erlassen werden konnte", argwöhnt der Rechtspolitiker. "So wurde Europarecht gebogen."

Der Bundestag hat in der vergangenen sowie in der laufenden Legislaturperiode wiederholt die Auffassung vertreten, dass die pauschale Überwachungsmaßnahme allein im Bereich der so genannten dritten Säule der EU zu verabschieden sei. Darin werden die Bestimmungen über die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen vom Rat festgelegt. Auch in ihrem jüngsten Beschluss zur Vorratsdatenspeicherung auf Antrag der Großen Koalition haben die Parlamentarier ihre Zweifel an der gewählten Rechtsgrundlage zum Ausdruck gebracht. Darin ist von "Bedenken" die Rede, dass die Strafverfolgungsmaßnahme in einem Richtlinienverfahren beschlossen wurde, obwohl "dieser Weg an sich der Sicherstellung des Funktionierens des Binnenmarktes dient."

Der Rat hatte sich vor allem unter britischer Präsidentschaft im zweiten Halbjahr 2005 immer wieder bemüht, eine Einigung über den Vorstoß von Frankreich, Irland, Schweden und Großbritannien zu einem Rahmenbeschluss zur Vorratsdatenspeicherung zu erzielen. Die Bestrebungen auf Ratsebene kamen aber jahrelang nicht voran und endeten in einer Sackgasse. Unter Berufung auf ein Gutachten des Juristischen Dienstes des Rates und auf ein Arbeitsdokument der Kommission nahm sich daher die Kommission des Vorhabens an und unternahm einen eigenen Vorstoß. Der federführende Innenausschuss des EU-Parlament machte sich zunächst für Einschränkungen des Richtlinienentwurfs stark. Die Fraktionsführer von Christdemokraten und Sozialdemokraten warfen die Vorgaben der Fachpolitiker allerdings wieder über den Haufen und machten den Weg frei für die Annahme der Richtlinie in ihrer jetzigen Form.

Die Begründungen des Rates und der Kommission für den Wechsel der Rechtsgrundlage überzeugen die Antragsteller im Bundestag nicht. Eine kritische Durchsicht der Gutachten habe ergeben, dass sich das Gesetzgebungsverfahren der Gemeinschaft innerhalb der so genannten ersten Säule nicht begründen lasse. Im Wesentlichen stütze der Juristische Dienst seine Argumentation darauf, dass die Gemeinschaft mit ihrer Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation auch die Frage der Vorratsdatenspeicherung in eine Binnenmarktangelegenheit überführt habe.

Schwerpunkt der Direktive ist den Antragstellern zufolge aber eine Rechtsharmonisierung mit dem Ziel, einen gleichwertigen Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten in Bezug auf die Verarbeitung personenbezogener Daten im Bereich der elektronischen Kommunikation zu gewährleisten". Tätigkeiten des Staates im strafrechtlichen Bereich seien ausdrücklich ausgeschlossen worden. Auch ein jüngst ergangenes Urteil des EuGH zum Umweltstrafrecht bestätige, "dass es bei der Wahl der richtigen Rechtsgrundlage auf den Hauptzweck der zu treffenden Regelung ankomme und dass Straf- und Strafprozessrecht grundsätzlich nicht in die Zuständigkeit der Gemeinschaft falle."

Die Klageerhebung erachten die Abgeordneten für nötig, da "die Bundesrepublik ein vitales Interesse an der Einhaltung der europäischen Regeln und der Wahrung der europäischen Rechtsstaatlichkeit" habe. Präzedenzfällen auf EU-Ebene müsse vorgebeugt werden, "damit auch in Zukunft nicht politische, sondern allein rechtliche Erwägungen über die Wahl der Rechtsgrundlagen von europäischen Rechtsakten entscheiden". Bis zur Entscheidung des EuGH darf die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung dem Antrag zufolge nicht umgesetzt werden. Der Schaden, den die Implementierung einer nichtigen Direktive in nationales Recht und eine spätere Zurücknahme der entsprechenden gesetzlichen Regelung anrichte, sei erheblich. Eine eventuell verzögerte Umsetzung "ist deshalb unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit hinzunehmen."

Protestbemühungen zivilgesellschaftlicher Organisationen gegen die Einführung einer Pflicht zur monatelangen pauschalen Vorhaltung von Verbindungs- und Standortdaten haben derweil einen Dämpfer erhalten. Eine für den 23. Mai in Berlin anberaumte Demonstration gegen die pauschale Beschnüffelung der Telekommunikationsnutzer musste zunächst abgesagt werden. "Der Grund sind fehlende personelle Ressourcen für die Organisation und Durchführung", heißt es auf der Website der Initiative. Über einen neuen Termin werde frühzeitig informiert.

Zur Auseinandersetzung um die Vorratsspeicherung sämtlicher Verbindungs- und Standortdaten, die etwa beim Telefonieren im Fest- oder Mobilfunknetz und der Internet-Nutzung anfallen, siehe den Online-Artikel in "c't Hintergrund" (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online):

(Stefan Krempl) / (jk)