Neue Top Level Domains: ICANN beschließt Öffnung des Internet-Namensraums

Die Internet-Verwaltung verabschiedete das Bewerbungsverfahren für neue Top Level Domains. Damit wird reguläres Verfahren für die fortgesetzte Beantragung neuer Adresszonen mit nahezu beliebigen Endungen wie .music, .berlin oder .eco etabliert.

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Von
  • Monika Ermert

Die Internet-Verwaltung Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) verabschiedete am heutigen Montag das Bewerbungsverfahren für neue Top Level Domains. Nach jahrelangen Diskussionen hatte die ICANN Ende Juni 2008 grünes Licht für die Einführung neuer Adresszonen im Netz gegeben. Nach einer ersten Testrunde mit neuen TLDs im Jahr 2000 und einer kleineren zweiten Runde mit TLDs für spezielle Zwecke im Jahr 2004 soll damit ein reguläres Verfahren für die fortgesetzte Beantragung neuer Adresszonen im Stil von .com, .biz, oder .cat etabliert werden. Damit lassen sich nahezu beliebige Begriffe für Top Level Domains auswählen. Die Hürden haben die Internet-Verwalter aber bereits recht hoch gelegt – so beträgt allein die Bewerbungsgebühr 185.000 Dollar, die ICANN will die Bewerber genau prüfen und es wurden für das Bewerbungsverfahren strikte Markenschutzregeln etabliert.

Nach dem nun beschlossenen Verfahren können sich vom 12. Januar 2012 bis 12. April 2012 Unternehmen und Organisationen bei der ICANN um die Zuteilung neuer TLDs wie .music, .eco, .green, .africa oder .berlin bewerben. Grundlagen zu den neuen TLDs und zum Bewerbungsverfahren erklärt die ICANN in einer FAQ, die genauen Regeln erfahren Bewerber im gTLD Applicant Guidebook. Zwar wird es noch eine ganze Weile dauern, bevor die neue Namen in die Rootzone eingetragen werden, da ICANN sich bis November 2012 Zeit nimmt für die Evaluierung. Dennoch sorgte die beim 41. Treffen der ICANN in Singapur nach über sechsjähriger Diskussion getroffene Entscheidung für Beifallsstürme im Publikum.

Bis zuletzt hatten Regierungsvertreter versucht, den bereits mehrfach verschobenen Starttermin noch einmal zu verzögern. Das US-Handelsministerium hatte vor wenigen Tagen in einem Brief ausdrücklich gewarnt, neuen TLD-Betreibern automatisch eine Bündelung der Registry- und Registrartätigkeit zu erlauben. Bei einer Sitzung am Sonntagabend hatten insbesondere europäische Regierungen zudem auf weiteren Nachbesserungsbedarf im Bereich Markenrecht verwiesen. Ein Vertreter der EU-Kommission hatte dabei zur Verwunderung vieler Beobachter die ICANN-Spitze heftig angegriffen.

Die ICANN-Direktoren entschieden sich dennoch für das lange diskutierte Bewerbungsverfahren, das bereits eine Vielzahl von Markenschutzregeln enthält. Direktoriums-Mitglied Erika Mann, ehemalige EU-Parlametarierin, sagte im Verlauf der Sitzung, es sei Zeit für die abschließende Entscheidung gewesen. Mann erkannte an, dass nationale Regierungen unweigerlich ihren nationalen Rechtsordnungen verpflichtet bleiben müssten. Das Internet als globales Medium auf internationaler Ebene mache aber letztlich Kompromisse notwendig, die ICANN nun mit den Bewerberregeln vorlege. Mann sagte, sie sei überzeugt, dass die Öffnung des Namensraums für mehr Wettbewerb und mehr Innovation sorgen werde. Ihre Direktoriumskollegin, die US-Juristin Rita Rodin, sagte, der Entscheid erlaube es, dass sich das Netz in dem für seine Geschichte typischen "Zustand des Chaos" kreativ weiter entwickeln könne.

Nicht unumstritten ist ein kurzfristig gefasster Beschluss der Direktoren, finanziell benachteiligte Bewerber insbesondere aus Entwicklungsländern zu unterstützen, die die geforderten 185.000 Dollar Bewerbungsgebühr nicht aufbringen können. ICANN will dafür einen Topf mit bis zu 2 Millionen Dollar bereitstellen. Dazu wartet man auf Beschlüsse einer speziellen Arbeitsgruppe zum Thema Entwicklungsländer und neue TLDs. Der Regierungsbeirat der ICANN hatte gefordert, dass solchen Bewerbern 76 Prozent der Bewerbungsgebühr erlassen werden sollen.

ICANNs Rolle als Geldgeber für TLD-Bewerber in Entwicklungsländern und der ungelöste Konflikt mit den Regierungen bewogen den Harvard-Mathematiker George Sadowsky zu seiner Gegenstimme. Sadowsky kritisierte, dass die Entscheidung kurz vor einem abschließenden Kompromiss mit den Regierungen gefällt werde. Deutlicher wurde sein Direktorenkollege Mike Silber, der den Beschluss als das Ergebnis eines künstlich erzeugten und durch persönliche Motive getriebenen Zeitdrucks bezeichnete. Einige der Direktoren, vor allem aber der Chef des Direktoriums, der Neuseeländer Peter Dengate Thrush, scheiden in Singapur aus dem Amt. Dengate Thrush hatte seit seinem Start als ICANN-Chef an der Erweiterung des Namensraums gearbeitet. In einer Pressekonferenz dankte ICANNs CEO Rod Beckstrom Dengate Thrush schon heute für seine "große Leistung" für ICANN.

Die Abgesandte der Regierungen im ICANN-Direktorium, die kanadische Regierungsvertreterin, kündigte allerdings an, dass die Regierungen auch bei der weiteren Ausarbeitung und Umsetzung der Regeln eine Rolle für sich beanspruchen. Als "Ende des Anfangs" bezeichnete daher der ägyptische Investmentbanker und ICANN-Direktor Cherine Chalaby die von ICANN selbst als historisch bezeichnete Entscheidung am heutigen Montag.

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(jk)