Die Statusfrage
Handys und Laptops waren die ersten Hardware-Phänomene, bei denen Männer plötzlich Wert darauf legten, den Kleinsten zu haben.
- Peter Glaser
Sie haben ein Fahrzeug in der Erdumlaufbahn, das 100 Milliarden Euro gekostet hat und müssen offenbar immer noch einen draufsetzen – ich sage "Fahrzeug", um zu verdeutlichen, dass es sich um ein Objekt handelt, mit dem man etwas Herzumachen versucht. Wie verzweifelt muss die NASA inzwischen sein, dass sie ihren Astronauten demnächst zwei Exemplare des iPhone 4 mit gepimpter Software in die Internationale Raumstation ISS mitgeben wird, um zu zeigen, dass man cool mit moderner Technik umzugehen versteht? Dass die Smartphones beim Start in den Flugmodus geschaltet werden müssen, soll mit Understatement darauf hinweisen, dass die Benutzung von iPhones in allerlei Fortbewegungsmitteln heute etwas völlig Normales ist (eine Simulatorversion der Software gibt es im App Store). "Wieder etwas, das zeigt, wie Apple die Welt verändert", merkt das Tech-Blog Maypalo dazu an. Wohlgemerkt: Apple, nicht die NASA.
(Bild:Â NASA)
Es ist eine Frage des Status. Diese spezielle Form von Renommee spielt in einer Welt, die überfüllt ist mit Produkten, die sich immer mehr ähneln (und Projekten, die nicht unbedingt sinnvoll, aber dafür teuer sind), eine zunehmend große Rolle. Apple hat mehr als drei Jahrzehnte gebraucht, um diesen besonderen, unsichtbaren Wein zu keltern.
Je nachdem, wie boshaft man ist, kann man den Begriff Status unterschiedlich lesen, von Ansehen bis Angeberei reicht das Spektrum der Bedeutungen. Wer angibt, hat mehr vom Leben, sagt der Volksmund. Aber im Internet kann man nicht mehr mit einem dicken Auto vorfahren. Also, was tun? Online lösen sich Versuche, seine Persönlichkeit durch Dinge wie in Juwelen gewälzte Mobiltelefone oder Designer-Müllsäcke begehrenswerter erscheinen zu lassen, in Nichts auf. Der schöne Schein verwandelt sich in jene Form des Scheinbaren, die virtuell heißt.
Die alten, analogen Statussymbole zählen nicht mehr in der digitalen Welt. Dinge wie etwa das bei Berliner BMW-Fahrern beliebte Wunschkennzeichen B-MW (das wegen seiner merkwürdigen Redundanz an mit "Kochtopf" beschriftete Kochtöpfe erinnert) wurden erst einmal abgelöst durch virtuellen Snobismus bei der elektronischen Identifikation. Wer 1993 eine E-Mail-Adresse auf der Visitenkarte hatte und wusste, wie man @ ausspricht, war jemand. Danach konnte man eine Weile mit einer eigenen Homepage reüssieren. Auch mit exklusiven E-Mail-Adressen ließ sich Status unter Beweis stellen, ein Account bei der ersten kalifornischen Cyber-Community The Well (@well.com), am MIT (@mit.edu) oder im Chaos Computer Club (@ccc.de) etwa rangierte in Augenhöhe mit einer Adresse an der Hamburger Elbchaussee, jedenfalls den hohen Hausnummern über 300, oder im Frankfurter Westend (Parkallee).
Frisch ins WWW entlassene Erstlinge ("Newbies") mit einer E-Mail-Adresse bei AOL wurden damals von statusbewussten Digital Natives mit virtuellen Hohnrufen empfangen. Apple, das muss man sich auch mal eingestehen, ist auf dieses Internet-Ding erst mit der Wiederkunft von Steve Jobs und dann auch noch zögerlich aufmerksam geworden – auf den bonbonbunten ersten iMacs suchte man, obwohl das vorangestellte kleine i ja angeblich "internet" bedeutete, vergeblich nach einer mit dem @-Zeichen beschrifteten Taste.
Wie auch immer, die Digitalisierung hat Gegenstände noch nicht ganz abgeschafft. Am Rande der Realität, dort, wo es in das große Datenmeer hinausgeht, hat stattdessen das Gadget-Wesen inzwischen unvorstellbare Dimensionen angenommen. War es in den achtziger Jahren noch Ausdruck technologischen Vornseins, ein sogenanntes Autotelefon mit sich herumzuschleppen, das etwas kleiner war als eine Bierkiste, ließ die Freude daran nach dem epidemischen Befall der Menschheit mit Mobiltelefonen etwas nach und kam erst mit der Neuerfindung der mobiloiden Lebensart durch das iPhone wieder auf, dafür diesmal aber richtig.
(Bild:Â Apple)
Mutter aller modernen Gadgets ist der iPod. Als das Gerät auf den Markt kam, ersetzten die schneeweißen Kopfhörer innerhalb kürzester Zeit die damals unumgänglichen schneeweißen Sneakers als Statussymbol. Sogar Hiphopper nahmen ihre goldenen Schneeketten ab, um sich das zierliche Kästchen um den Hals zu hängen. Wobei Status immer auch ein bisschen wie nasse Seife ist: Man soll ihn möglichst schwer zu greifen kriegen, und er ändert sich durch ständige Benutzung. Handys und Laptops waren die ersten Hardware-Phänomene, bei denen Männer plötzlich Wert darauf legten, den Kleinsten zu haben. Aktueller Stand in der Schlacht um die schicksten Schrumpfungsformen ist das iPad, bei dem die entscheidenden Werte, ähnlich wie heutzutage bei olympischen Sportarten, im Millimeterbereich liegen. Aber auch die Status-Verlagerung ins Stofflose macht Fortschritte. Angesichts der herannahenden Omnipräsenz der Wolke alias iCloud fragt sich etwa der Verleger und Musikjournalist Walter Gröbchen, ob der Distinktionsgewinn, den der Besitz ganz bestimmer Musik mit sich brachte, nun ausgedient hat, "wenn alle Welt allzeit & allerorten alle Musik aller Spielarten hören kann".
War Status früher der Versuch, zumindest für kurze Zeit in eine Art erkaufter Aristokratie davoneilen zu können, so ist nun auch diese angestaubte Sitte endlich in der modernen Welt angekommen und demokratisch geworden. Dank Apple sind wir, na wo wohl? – ganz vorne mit dabei. (se)