IT-Gipfel der Bundesregierung erntet kaum gute Noten [Update]

Der elitäre Zirkel zur Förderung des Technikstandorts wird von Mittelstandsvereinigungen und Oppositionspolitikern scharf als "Show" angegangen; Themen wie Open Source oder Datenschutz seien vergessen worden.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 162 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.

Nach dem Kraftakt der Produktion einer "Potsdamer Initiative" für den Ausbau Deutschlands als Standort für Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) im Rahmen des nationalen IT-Gipfels der Bundesregierung fallen die Reaktionen aus Wirtschaft, Verwaltung und Opposition unterschiedlich aus. "Der IT-Gipfel hat wichtige Signale für die Bedeutung der digitalen Wirtschaft in Deutschland gesetzt", meint Willi Berchtold, Präsident des direkt an der Veranstaltung in Potsdam beteiligten Branchenverbands Bitkom. Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) begrüßte die Durchführung des Kongresses. Er erwartet sich "politischen Rückenwind für investitionsfreundliche Rahmenbedingungen". Das von der Industrie rund um Funkchips ins Leben gerufene Informationsforum RFID freut sich, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel "den hohen Stellenwert von RFID innerhalb der IT-Technologie und für den Wirtschaftsstandort Deutschland" bekräftigt habe.

Der Verband der deutschen Internetwirtschaft eco und der Verein networker NRW üben dagegen scharfe Kritik an der Einladungspolitik der Bundesregierung, da Vertreter des Mittelstandes "systematisch außen vor gelassen" worden seien. "Gut beraten wäre die Bundesregierung" gewesen, schimpft eco-Geschäftsführer Harald Summa, wenn sie die Überarbeitung ihrer Hightech-Strategie mit Unternehmen abgestimmt und besprochen hätte, die maßgeblich zu Investitionen in Zukunftstechnologien am Standort beitragen. Stattdessen habe sich der IT-Gipfel ausschließlich mit wenigen Branchenriesen geschmückt.

Als "reine Show" hat die technologiepolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Ulrike Flach, den Gipfel bezeichnet. "Der täglichen Realität" könnten seine Ergebnisse "nicht standhalten". Technologiefreundlichkeit dürfe sich nicht nur in wöchentlichen Podcast-Auftritten der Kanzlerin niederschlagen. Wie schwer sich der Staat dabei tue, zeigten etwa seit Jahren diskutierte Themen wie die digitale Signatur oder die Neuregelung des Urheberrechts.

Kein gutes Blatt an der Veranstaltung lässt auch Michael Leutert, Obmann für Menschenrechte bei der Fraktion der Linken im Bundestag. Spätestens mit dem Erfolg des Web 2.0 hätte seiner Ansicht nach auch der Bundesregierung klar sein müssen, dass erfolgreiche Innovationen in der Informationsgesellschaft nicht durch eine Politik im kleinen Zirkel befördert werden. Wenn sie "wirklich etwas bewegen will, muss sie viel mehr von den ohnehin im internationalen Vergleich eher bescheidenen Fördermitteln in die Unterstützung von Open-Source-Projekten und für die Förderung der IT-Kompetenz breiter Bevölkerungskreise geben".

Bezeichnend ist für den Linkspolitiker, dass Datenschutzbeauftragte als "demokratische Wächter" der Netzgesellschaft nicht zum Kreis der Geladenen gehörten: "Das ist fatal, nährt es doch die Befürchtung, dass die Entwicklung hin zu einer Informationsgesellschaft in der Sackgasse einer Überwachungsgesellschaft enden kann." Die jüngsten Bemühungen zur Online-Durchsuchung von PCs würden zeigen, wohin die Reise gehe: "Hinein in Orwells Horrorvisionen." Silke Stokar, Innenexpertin der Grünen im Bundestag, verwies ebenfalls auf das "bedauerliche Versäumnis der Bundesregierung, keine Fachleute aus dem Bereich der Informationsfreiheit und des Datenschutzes eingeladen zu haben." Angesichts des eingeschlagenen RFID-Kurses bemängelte sie, dass die Wirtschaft immer noch keine verbindliche Selbstverpflichtung zum Datenschutz abgegeben habe.

Der ausgegrenzte Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar erhob derweil in Bonn die mahnende Stimme, dass "bereits bei der Konzeption von IT-Systemen verstärkt Vorkehrungen getroffen werden sollten, die das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewährleisten". Die Rahmenbedingungen des IT-Einsatzes müssten so gestaltet werden, dass sich ein guter Datenschutz auch ökonomisch auszahle. Staat, Wirtschaft und Wissenschaft hätten sich ihrer Verantwortung zu stellen, um "die Grundrechte und die demokratischen Strukturen" auch in der digitalen Gesellschaft zu gewährleisten. Zugleich veröffentlichte Schaar " zehn Thesen für eine datenschutzfreundliche Informationstechnik". Sie raten unter anderem zu Datensparsamkeit, kritisieren die Erstellung von Persönlichkeitsprofilen und warnen vor dem Ausspielen des "Potenzials zur Totalüberwachung" der Informationstechnik.

Lob und Tadel zum Gipfel verteilt die Initiative D21: "Es sind wichtige Impulse gesetzt worden, um Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit zu stärken", erklärt der Vorstandsvorsitzende der Partnerschaftsinitiative von Politik und Wirtschaft, Bernd Bischoff. "Aus unserer Sicht sollten bei den nachfolgenden Vorhaben aber auch die gesellschaftlichen Aspekte stärker herausgearbeitet werden." Das "IT-Analphabetentum von 23 Millionen Menschen" werde sonst zur Fortschrittsbremse für den IT-Standort. Die Initiative begrüßt etwa die auf dem Gipfel beschlossene Einrichtung von zentralen IT-Verantwortlichen in den Bundesministerien und ihren Geschäftsbereichen. Unumgänglich sei aber auch die zentrale Koordinierung und strategische Fortentwicklung durch einen "Chief Information Officer" für die gesamte Bundesverwaltung. Sonst werde die Arbeit der IT-Verantwortlichen nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sein.

Siehe zum IT-Gipfel der Bundesregierung auch:

(Stefan Krempl) / (jk)