Versetzt die mobile Welt dem Datenschutz den Todesstoß?

Hüter der Privatsphäre fordern angesichts der ubiquitären Informationsverarbeitung mit Handhelds und RFID neue Konzepte für den Datenschutz und den Stopp der Brüsseler Pläne zur Vorratsdatenspeicherung.

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Am Rande der IFA in Berlin forderten Experten auf dem Symposium "Mobile Kommunikation und Datenschutz" (PDF-Datei) angesichts der absehbaren ubiquitären Informationsverarbeitung mit Handhelds, RFID und Sensoren neue Konzepte für den Schutz der Privatsphäre. "Die geltenden Datenschutzrechte sind auf die neuen Anforderungen nicht vorbereitet", betonte Alexander Rossnagel, Professor für öffentliches Recht an der Universität Kassel. Statt dass der Gesetzgeber wie bisher spezifische Schutzbereiche für die Verwendung von Daten im öffentlichen und privaten Bereich festlege, "müssen wir zu ganz anderen Vorstellungen kommen, wie informationelle Selbstbestimmung technisch unterstützt werden kann." Software-Agenten, welche die Datenschutz-Präferenzen ihrer Nutzer gespeichert haben, könnten etwa in die Verarbeitung der persönlichen Informationen "technisch einwilligen" oder eine Warnung bei einer unerwünschten Datenabgabe ausstoßen.

Die Herausforderungen für den Datenschutz, welche die mobile Welt mit allgegenwärtigen Internetzugängen, Foto-Handys, Sensoren und RFID-Chips mit sich bringt, sind gewaltig. Die Frage, wie beim so genannten Ubiquitous Computing das informationelle Selbstbestimmungsrecht aufrecht erhalten werden soll, "kommt in den Hochglanzprospekten der Aussteller auf der Funkausstellung noch erheblich zu kurz", konstatierte der Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix. Immer mehr elektronische Gadgets sollten möglichst unbemerkt miteinander kommunizieren, wobei bestehende Grundsätze wie eine vorab erfolgende Einwilligung in einen Datentransfer nicht mehr aufrecht zu erhalten seien. Mit den gängigen Ge- und Verboten komme man nicht mehr weiter, zumal mit der Erhebung von immer mehr personenbezogenen Daten das Interesse daran sowohl auf staatlicher als auch auf privater Seite zunehme.

Als Beispiel für die Bedrohungen führte Elliot Maxwell von der Johns Hopkins University in Washington die "Explosion" im Bereich RFID an. Schon heute würden immer mehr mobile IT-Geräte eine eindeutige Kennung erhalten. Ein Trend, der über den Einzug von Funkchips in bisher nicht mit Rechenkraft ausgestatteten Alltagsgegenstände deutlich ausgeweitet werde. Texas Instruments etwa plane, RFID-Tags nicht mehr nur in Medizinbehälter zu implantieren, sondern "in jede einzelne Pille". Generell sei absehbar, dass die Technik immer öfter direkt zur Kontrolle von Kranken, Älteren oder Gefangenen zum Zuge komme. Es sei daher unabdinglich, den Schutz der Privatsphäre bei der kommenden RFID-Chip-Generation schon im Design zu implementieren. Besonders wichtig ist für Maxwell der Einbau einer Option, mit der sich die Tags an- und abschalten lassen. Dies lasse dem Einzelnen die Freiheit, etwa beim Kauf einer teuren Uhr spätere Garantieansprüche zu nutzen, ohne jedoch ständig verfolgbar zu sein. Auch der Passwortschutz und die Verschlüsselung der Kommunikation mit Lesegeräten müsse verbessert und durch eine Funktion ergänzt werden, die unerwünschte Ausleseprozesse der Chips sofort bekannt gebe.

Als weiteres wichtiges Element der Neuausrichtung beim Datenschutz betrachten die Experten eine bessere Möglichkeit für Unternehmen, mit Vorkehrungen zur Aufrechterhaltung der Privatsphäre werben zu können. "Ich kann nur appellieren an die Politik, Datenschutz auch als positiven Wettbewerbsfaktor zu sehen", erklärte Dix. Ihm zufolge steht der Gesetzgeber nach der Wahl "in der Pflicht", ein bundesweites Datenschutz-Auditgesetz zu erlassen und darin die entsprechenden Rahmenbedingungen vorzunehmen. Schon seit längerem räche es sich, dass Rot-Grün eine zweistufige Reform des Datenschutzrechts vorgehabt, aber nur einen Teil umgesetzt habe.

Hansjürgen Garstka, Vorstandsvorsitzender der Europäischen Akademie für Datenschutz und Informationsfreiheit, bezeichnete auch den von Brüssel gelegten Rahmen als "ernüchternd". Für die gesellschaftliche Bedeutung der Mobilkommunikation gebe es in EU-Papieren bislang "wenig Raum". Besonders enttäuscht zeigte er sich über den internen Entwurf für eine Direktive der EU-Kommission zur Vorratsspeicherung von Telefon- und Internet-Daten. "Was die Hardliner im Rat noch nicht durchgesetzt hatten, steht jetzt in der Richtlinie drin", empörte sich Garstka über die Ausdehnung des Anforderungskatalogs an Daten, welche Vertreter der nationalen Regierungen bei den Diskussionen über einen eigenen Rahmenbeschluss zunächst festgezurrt hatten. So poche die Kommission auf der Speicherung aller Zelleninformationen zur Standortbestimmung im Mobilfunk auch während laufender Gespräche zusätzlich zu den generell generierten Verkehrs- und Standortdaten inklusive SMS, MMS, Rufnummern, Nutzeranschriften sowie den Teilnehmer- und Gerätekennungen. Im Ministerrat seien bisher "nur" Angaben über die Anfangs- und Endzellen bei der Mobilkommunikation verlangt worden.

Dix warnte vor einem "Dammbruch zu Lasten des Datenschutzes", falls die Linie der Kommission akzeptiert würde. Provider müssten "das gesamte Bewegungsprofil eines Mobilfunkteilnehmers flächendeckend bei jedem Gespräch ohne Verdacht speichern", gab er zu bedenken. Damit würde sich "das gesamte Überwachungspotenzial der Netze realisieren, vor dem wir immer gewarnt haben". Die Datenschutzbeauftragten hätten schon vor Jahren gesagt, dass die Infrastruktur datenschutzfreundlicher aufzubauen sei. Die Anbieter hätten damals abgewunken, weil sie selbst kein Interesse an den genauen Standortdaten hatten. (Stefan Krempl) / (pmz)