@home mit Einstein in Potsdam

Während der Potsdamer IT-Gipfel große Wellen schlug, ging es in der Nähe beschaulicher zu, und das mit kleinsten Wellen. Bei dem bislang nicht gelungenen Nachweis von Gravitationswellen spielen Spender von Rechenzeit eine wichtige Rolle.

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Von
  • Detlef Borchers

Während der Potsdamer IT-Gipfel mit seinen handverlesenen Teilnehmern großer IT-Konzerne große Wellen schlug, ging es wenige Kilometer Luftlinie entfernt ungleich beschaulicher zu, und das mit kleinsten Wellen. Auf dem 11. Workshop zur Gravitationswellenanalyse war weniger die deutsche Exzellenz gefragt, sondern die Forschung zu den kleinen Wellen, die Albert Einstein 1916 mit seiner allgemeinen Relativitätstheorie postuliert hat. Bei dem bislang nicht gelungenen Nachweis solcher Gravitationswellen spielen leistungsfähige Rechner und aufopferungsvolle Spender von Rechenzeit eine wichtige Rolle. Zu den Rechenteams, die sich bei Einstein@Home engagieren, gehört eine Gruppe, die bei heise online zu Hause ist.

Nach der Relativitätstheorie von Albert Einstein entstehen Gravitationswellen, wenn sich eine Masse relativ zu einer anderen Masse bewegt. Diese Wellen bewegen sich mit Lichtgeschwindigkeit in alle Richtungen fort und kommen so auch auf der Erde an. Starke Wellen, die bei der Kollision zweier Schwarzer Löcher entstehen oder Wellen von unter der Schwerkraft kollabierenden, schnell drehenden Sternen (Pulsare) müssten der Theorie zufolge messbar sein. Die auf der Erde installierten Gravitationswellendetektoren sind technisch Interferometer. Ein Laserstrahl wird auf zwei gleich langen Messstrecken durch ein Vakuum geschickt und zurückgespiegelt, minimale Längenänderungen zwischen den Endspiegeln und dem Hauptgebäude werden gemessen und aufgezeichnet. Die Daten sind die Rohdaten für die Suche nach den Gravitationswellen, mit denen Supercomputer, aber auch die verteilten Rechner von Einstein@Home beschäftigt sind. Weltweit gibt es fünf Detektoren für Gravitationswellen, ein sechster soll in den nächsten Jahren im Weltraum installiert werden. Der deutsch/britische Detektor heißt GEO 600 und befindet sich in Sarstedt bei Hannover; seine Vakuumröhren sind 600 Meter lang. In Hannover wird auch an LISA (Laser Interferometer Space Antenna) gearbeitet, ein Antennensystem im Weltraum in Form eines gleichschenkeligen Dreiecks mit der Kantenlänge von 5 Millionen Kilometern. 2009 soll der LISA Pathfinder (LPF) ins All geschossen werden, mit dem das grundsätzliche Messprinzip getestet werden soll.

Weltweit beschäftigen sich etwa 800 Wissenschaftler mit dem Nachweis der Gravitationswellen. Rund 450 von ihnen sind in der LIGO Scientific Collaboration (LSC) zusammengeschlossen, bei der auch das Distributed-Computing-Projekt Einstein@home angesiedelt ist. Obwohl der Nachweis von Gravitationswellen noch nicht gelungen ist, sind die Wissenschaftler guten Mutes. Dieser ist vor allem darin begründet, dass das Messinstrumentarium in den letzten Jahren erheblich verbessert werden konnte. So soll der derzeit fortschrittlichste Detektor Advanced LIGO (Laser Interferometer Gravitational wave Observatory) die Messempfindlichkeit um den Faktor 10 gesteigert haben. Wie schwierig das Messen einer Gravitationswelle ist, mag eine hypothetische Supernovaeexplosion (Explosion eines Sternes von mehr als zehn Sonnenmassen) in unserer Milchstraße verdeutlichen. Sie würde die Messstrecke maximal um ein Tausendstel eines Atomkerndurchmessers schwingen lassen.

Eine derart minimale Abweichung durch eine Gravitationsquelle zu finden, bedarf es ausgeklügelter Rechenprogramme, die das schwache Signal aus dem allgemeinen Grundrauschen herausrechnen. "Vater" von Einstein@home ist Bruce Allen, der zum 1. Januar 2007 eine Stelle als Direktor des Max Planck Institutes für Gravitationsphysik in Hannover antreten wird. Im Gespräch mit heise online erinnert er sich: "Als wir 1995 von SETI@home hörten, überlegten wir, dass wir auch so etwas machen könnten. Ich diskutierte darüber mit einem Kollegen. Wir kamen zu der Überzeugung, dass es technisch wohl möglich wäre, Datenhappen auf verteilten PCs durchsuchen zu lassen, dass es aber nicht realisierbar sei. Wie sollten wir Leute dafür interessieren, bei unserem Projekt mitzumachen? Im Vergleich zur außerirdischen Intelligenz sind Gravitationswellen keine besonders attraktive Sache." Erst als die American Physical Society ihre Unterstützung zusagte, konnte das Projekt gestartet werden.

Heute ist Allen froh über den späten Start im Einstein-Jahr 2005: "Einstein@home hat von allen vergleichbaren Projekten wohl die kundigsten User. Sie sind sehr, sehr smart, ich würde sie als Six-Sigma-Typen bezeichnen. Es ist ganz erstaunlich, wie sie über die Message Boards mitgeholfen haben, unseren Code zu entwickeln." Entsprechend dankbar ist Allen auch dem "Special: Off-Topic"-Forumteam, von dem gut 700 Teilnehmer bei Einstein@home dabei sind. Auf der öffentlichen Veranstaltung am Golmer Albert Einstein Institut bekommt Allen von den Off-Topicern einen Number Cruncher geschenkt, dazu hängt der Heisig, das Maskottchen der Heise-Fans, an den Stellwänden, die über die Gravitaionswellenforschung Auskunft geben.

"Beim verteilten Rechnen hört man manchmal, dass die Rechner das Wichtigste sind. Das ist falsch. Die Anwender sind das Wichtigste, die zu Hause ihre Computer warten, damit sie mitrechnen. Das ist genau wie bei den Supercomputern, die für die Gravitationswellenanalyse benutzt werden: Die Systemadministratoren sind das Teuerste." Dennoch geht die Gefahr vom Rechner aus. "Die größte Gefahr sind moderne Rechner mit ihrem Sparmodus, die heruntergefahren werden", erklärt Allen. Argumente zum Stromsparen kontert er sofort. Für 10 Cent am Tag bei so einem aufregenden Projekt mitzurechnen, das sollte die Sache wert sein. "Ich bin mir sicher, dass in den nächsten 10 Jahren der Nachweis von Gravitationswellen gelingt. Das ist doch eine tolle Perspektive für alle, die dabei mitmachen." (Detlef Borchers) / (jk)