Nie mehr anonym

Software zur Gesichtserkennung entwickelt sich zum preiswerten Service für Internet-Nutzer. Das jagt Datenschützern kalte Schauer über den Rücken, denn es gibt selbst für Passanten auf der Straße kein Entkommen und keine wirklichen Schutzvorkehrungen.

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Von
  • Steffan Heuer
Inhaltsverzeichnis

Software zur Gesichtserkennung entwickelt sich zum preiswerten Service für Internet-Nutzer. Das jagt Datenschützern kalte Schauer über den Rücken, denn es gibt selbst für Passanten auf der Straße kein Entkommen und keine wirklichen Schutzvorkehrungen.

Das neue Feature kam, ganz nach Art des Hauses, durch die Hintertür. Im Firmenblog stellte Facebook-Ingenieur Justin Mitchell am 7. Juni 2011 eher beiläufig eine neue Funktion namens "Tag Suggestion" vor. Die meisten der über 500 Millionen Facebook-Nutzer dürften davon, wenn überhaupt, erst aus den Medien erfahren haben – eigens informiert wurden sie jedenfalls nicht. Dabei hatte Facebook einen weiteren kleinen, aber entscheidenden Schritt "Richtung Ende der Anonymität in der Öffentlichkeit" gemacht, wie der FDP-Politiker Jimmy Schulze gegenüber der "Financial Times Deutschland" sagte. Wer neue Bilder bei Facebook hochlädt, dem macht nun eine Gesichtserkennungs-Software automatisch Vorschläge, welcher der Facebook-Freunde darauf zu sehen sein könnte. Hat der Algorithmus tatsächlich die richtigen Personen erkannt, kann der Nutzer mit einem einzelnen Klick jedem Gesicht den entsprechenden Namen zuweisen ("taggen").

Bereits im Dezember 2010 wurde dieser Dienst US-Nutzern zugänglich gemacht, im Juni wurde er stillschweigend auch in Deutschland und anderen Ländern scharf geschaltet. Betroffen sind zunächst einmal sämtliche Facebook-Mitglieder. Wer sich nicht taggen lassen möchte, muss selbst aktiv werden und die Option in einem gut versteckten Untermenü deaktivieren – ansonsten darf er damit rechnen, künftig auf allen möglichen Fotos im Facebook-Universum identifiziert zu werden.

Doch auch für Menschen, die mit Facebook nichts am Hut haben, ist der Fall brisant: Er zeigt, dass die Gesichtserkennung den Sprung von der aufwendigen Spezialanwendung für Militär und Behörden zur preiswerten Massenanwendung für jedermann geschafft hat – zum Anlegen kompletter Personendossiers von Freund oder Feind, mit allen Fotos und Informationen, die über die jeweilige Person im Internet kursieren.

Die technische Grundlage dafür ist längst gelegt. Automatische Gesichtserkennung ist schon seit Jahren im Einsatz, zum Beispiel, um Spielern Zutritt zu Spielcasinos zu gewähren. Die Voraussetzungen dafür waren bisher allerdings gut ausgeleuchtete, frontale Aufnahmen sowie entsprechend hochwertige Vergleichsbilder in einer Referenz-Datenbank. Diese aufwendigen Verfahren kommen demnach also nur für einen klar definierten und kooperativen Kreis von Kunden infrage, die sich zur Identifizierung bewusst vor eine Kamera stellen. Doch dank leistungsfähiger Smartphones, schmerzfreier Nutzer sozialer Netze und weiterentwickelter Algorithmen können nun auch Schnappschüsse und Privatvideos verarbeitet werden. Verbreitet sich diese Technik, bedeutet das: Jeder, der sein Gesicht in der Öffentlichkeit zeigt, kann potenziell identifiziert werden – die attraktive Blondine am Nebentisch, der Passant im Hintergrund eines Touristenfotos, der Besoffene auf dem Rosenmontagszug.

Wie das konkret aussehen kann, demonstrierte die US-Firma Viewdle in diesem Januar auf der Technikmesse CES in Las Vegas: Eine Handykamera nimmt eine Gruppe junger Damen auf, die Viewdle-Software denkt ein paar Sekunden nach, und schließlich blendet sie zu jedem Gesicht auf dem Sucher den dazugehörigen Namen ein. Außerdem durchstöbert sie soziale Netze wie Facebook und Twitter nach den Profilen der Abgebildeten. Wird sie fündig, zeigt sie die letzten Updates in einer Sprechblase über den Köpfen an. In der freien Wildbahn funktioniert das allerdings noch nicht – die Vorführung in Las Vegas beruhte auf einer eigens für die Show gebauten Demo-Version. Aber Viewdle hat von großen Firmen wie Blackberry-Hersteller RIM, Chipentwickler Qualcomm und der Elektronikmarkt-Kette BestBuy schon zehn Millionen Dollar eingesammelt, um daraus ein fertiges Produkt zu entwickeln.

Vordergründig dienen solche Werkzeuge vor allem dazu, Fotos und Videos automatisch zu verschlagworten, um sie einfacher wiederfinden zu können. Doch sie bilden auch die Grundlage für ganz neue Anwendungen – etwa um Stammkunden in einem Geschäft mit maßgeschneiderter Werbung zu traktieren. Dieses wirtschaftliche Potenzial hat namhafte Unternehmen auf den Plan gerufen. So kaufte Apple im September 2010 die schwedische Firma Polar Rose für eine ungenannte Summe. Die russische Suchmaschine Yandex ist mit 4,3 Millionen Dollar der Hauptinvestor des Gesichtserkennungsspezialisten Face.com. Und Microsofts Innovationslabor in Israel stellte in diesem März gleich mehrere Prototypen zur Personenerkennung vor, die unter anderem Heimvideos nach Gesichtern durchsuchen und katalogisieren können.

Google arbeitet ebenfalls seit Jahren an Gesichtserkennung und hat dazu bereits 2006 mit dem Erwerb von Neven Vision einen der führenden Forscher auf dem Gebiet, den deutschen Computerwissenschaftler Hartmut Neven, eingekauft. Ein Interview, das Neven im März dem Nachrichtensender CNN gab, liefert einen kleinen Ausblick, wohin die Reise geht. Danach arbeitet sein Team an einer Handy-App, die – ähnlich wie Viewdle – den Schnappschuss einer Person mit persönlichen Informationen aus dem Web verknüpft.

Dazu passen zwei Google-Patente, die vor Kurzem erteilt beziehungsweise beantragt worden sind. Neven ist einer der Verfasser des ersten Patentes vom April 2010. Darin beschreibt er eine Methode zur automatischen Gesichtserkennung, bei der ein einziges Bild von mindestens fünf Megapixeln genügt, um eine Person nur anhand der Augen und Hautcharakteristika zu identifizieren. In einem Patentantrag vom Mai beschreibt der Suchriese eine Datenbank von Prominenten-Gesichtern, die sich bislang noch im Teststadium befindet. Einer der Mitverfasser dieses Patentes ist Nevens alter Mitarbeiter Hartwig Adam, der 2006 ebenfalls zu Google wechselte. Die Datenbank soll von anfangs 1000 Promi-Gesichtern auf mindestens 30000 ausgebaut werden, um das gesamte Web nach namhaften Persönlichkeiten durchsuchen zu können – selbst wenn die Bilder online nicht mit deren Namen versehen wurden.