Institut fordert umfassende Volkszählung

Während jeder Bundesbürger mit der Benutzung von Kunden-, Kredit und Telefonkarten komplett durchleuchtet sei, fehle es den offiziellen Stellen an belastbaren Daten, heißt es in einem Bericht des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung.

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Von
  • Detlef Borchers

Unter dem Titel Land ohne Daten hat das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung einen Bericht veröffentlicht, in dem eine umfassende Volkszählung für Deutschland gefordert wird. Während jeder Bundesbürger mit der Benutzung von Kunden-, Kredit und Telefonkarten komplett durchleuchtet sei, fehle es den offiziellen Stellen an belastbaren Daten: "Wir wissen nicht mehr, wer in diesem Land lebt", erklärte Reiner Klingholz, einer der Autoren des Berichtes. Zusammen mit der umfassenden Volkszählung fordert das Berlin-Institut ein Gesetz über die Informationsfreiheit nach dem Vorbild der USA, damit sich die Bürger jederzeit über die erhobenen Daten ein Bild machen können.

Der Bericht, der in Auszügen auch in der heutigen Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung abgedruckt ist, zieht eine vernichtende Bilanz des deutschen Meldewesens. Praktisch seien alle in Deutschland erhobenen Daten unbrauchbar, weil sie nicht durch regelmäßige Volkszählungen überprüft werden. Besonders fehlerhaft sei die deutsche Ausländerstatistik, die jüngst um 600.000 Personen nach unten korrigiert werden musste, weil Ausländer, die ins Ausland zurückkehren, als Dateileichen weiter in Deutschland lebten. Auch vertippten sich deutsche Beamte häufig bei polnischen oder türkischen Namen und vermehrten dadurch unfreiwillig die Zahl der hier lebenden Ausländer. Dagegen könne nur eine richtige Volkszählung helfen, die einen Abgleich von Daten mit der Realität gestatte.

Die katastrophale Verfassung der deutschen Zahlen wirke sich auch bei der Diskussion der Kinderbetreuung aus, weil hier aus Datenschutzgründen die Kinder lediger Mütter oder im Ausland geborene Kinder nicht in der Statistik auftauchten. Aus diesem Grunde hält der Bericht auch die jährlichen Stichprobenerhebungen (Mikrozensus) für nutzlos, weil die Stichproben nicht alle Daten erfassen. Beispielsweise werden Fragen, wie viele Kinder Zuwanderer wirklich haben, nicht richtig gestellt. "Zwangsläufig entsteht bei der Schönfärberei der Eindruck, Integrationsdefizite sollten durch konfuse und nicht existierende Daten einfach unter den Tisch gekehrt werden. Vor allem hilft die Verschleierung nicht, Vorurteile und Ängste der Bürger gegenüber Zuwanderung auf eine neutrale Basis zu stellen und anstehende Probleme nüchtern zu diskutierten", so das Fazit des Berichtes.

Gegen die Missstände helfe nur eine umfassende Volkszählung, die eigentlich alle zehn Jahre durchgeführt werden muss. Nach der Volkszählung von 1983, die keine Daten produzierte, aber mit dem "Volkszählungsurteil" das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung begründete und damit den modernen Datenschutz institutionalisierte, waren weitere Zählungen nicht durchsetzbar. "Eine neue ist aufgrund befürchteter Akzeptanzprobleme nicht einmal angedacht. Stattdessen suchen die Statistiker nach 'milderen Mitteln der Erhebung'. Dabei sollen vorhandene Datenquellen genutzt werden", an denen der Bericht kein gutes Haar lässt.

Ein System wie in Österreich, bei dem künftig die Volkszählungen über die digitale Signatur der Bürgerkarte in Form eines Registerabgleiches durchgeführt werden, wird dabei nicht grundsätzlich abglehnt. "Ich habe kein Problem mit modernen Methoden wie Registerabgleichen. Aber dafür müssen die Register stimmen. Die Daten etwa der Bundesanstalt für Arbeit, der Melderegister etc. sind aber fehlerhaft. Ich kann keine fehlerhaften Dateien zu einer stimmigen Volkszählung hochrechnen", erklärte Institutsdirektor Reiner Klingholz gegenüber heise online. Klingholz, der in den 80er Jahren selbst gegen die Volkszählung war, ist davon überzeugt, dass eine umfassende Volkszählung dann durchgeführt werden kann, wenn die Bundesrepublik ein Informationsfreiheitsgesetz bekommt, welches die Auskunftspflicht eines jeden Bürgers bei einer Volkszählung um die Auskunftspflicht aller Behörden bei jeder Bürgeranfrage erweitert. Fraglich ist allerdings, ob das mit Müh und Not gezimmerte Informationsfreiheitsgesetz schon ausreicht, den Bürger bei einer kommenden Volkszählung zu beruhigen. (Detlef Borchers) / (anw)