Soziologe: Kontroverse Debatte im Web gut für Demokratie

Die Morde des norwegischen Rechtsradikalen Anders Behring Breivik lösen im Internet scharfe Debatten über den Umgang mit Straftätern aus. Das sei gut, sagt der Weimarer Mediensoziologe Ziemann.

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Von
  • dpa

Die heftige Debatte im Internet über den Doppelanschlag in Norwegen und den Umgang mit dem Attentäter hat nach Einschätzung des Mediensoziologen Andreas Ziemann positive Effekte. Facebook, Twitter und Foren bedienten den Wunsch, gesellschaftliche Werte zu diskutieren, sagte der Wissenschaftler von der Bauhaus-Universität Weimar in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. "Das Internet hat die Möglichkeiten der Teilhabe am öffentlichen Diskurs quer durch alle Schichten und Altersgruppen ausgeweitet." Politische Themen würden in der Öffentlichkeit nicht mehr nur vom Bildungsbürgertum debattiert.

Der Wissenschaftler verwies darauf, dass Debatten über grundlegende Werte seit dem 18. Jahrhundert vor allem Gelehrtenzirkeln vorbehalten waren. Mittlerweile hätten rund 70 Prozent der Europäer Zugang zum Internet. Die Folge: Die Kommentare zu aktuellen Themen seien individueller denn je. Auch radikale Meinungen würden, anders als in geselligen Gesprächen oder Leserbriefspalten von Zeitungen, nicht mehr zurückgehalten. So ergebe sich ein komplexes Meinungsbild.

Ziemann geht davon aus, dass auch Politiker diese Debatten im Internet immer professioneller beobachten und so zunehmend eigene Stellungnahmen begründen. "Sie sollten sich aber nicht einmischen, sondern eine gewisse Distanz wahren."

Einen Moderator für die Web-Diskussionen hält der Mediensoziologe in den meisten Fällen für nicht nötig. "Die Diskussion reguliert sich selbst." Das gelte auch, wenn die Nutzer im Netz forderten, dem norwegischen Attentäter einen ordentlichen Strafprozess zu versagen. Wenn Stimmen für eine schnelle Hinrichtung des Mannes laut würden, meldeten sich stets auch Verfechter der Menschenrechte und anderer zivilisatorischer Errungenschaften. "Das ist ein hochgradig demokratischer Prozess und ein Verfahren, das Demokratie selbst stabilisiert", sagte Ziemann.

Dennoch könne es Folgen haben, wenn im Internet ähnlich wie am Stammtisch die Hemmungen fallen. "Es ist ein Fehler, das Internet und die sozialen Netzwerke mit einem privaten Raum zu verwechseln", warnte Ziemann. Derbe Kommentare oder Lästereien, die den eigenen Arbeitgeber in ein schlechtes Licht rücken könnten, seien bei Facebook tabu. Der Soziologe erinnert zudem an die Empfehlungen zur "Netiquette", die sich unter anderem im Social-Media-Knigge von 2010 wiederfinden. "Wichtigste Grundregel: Wechselseitige Achtung, Anerkennung und Toleranz." (hos)