Das Ende des letzten deutschen Handyherstellers

Die Mobilfunkgeräte waren lange eine Vorzeige-Sparte von Siemens. Die Entwicklung der Handyhersteller ist nach Einschätzung von Experten aber durchaus symptomatisch für die Probleme deutscher Unternehmen in der Konsumelektronik.

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Von
  • Axel Höpner
  • dpa
Mit der Pleite von BenQ Mobile geht in der Konsumelektronik ein weiteres unrühmliches Kapitel deutscher Industriegeschichte zu Ende. Renommierte Konzerne wie Siemens und Bosch versuchten in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten vergeblich, sich ein attraktives Stück des weltweit rasant wachsenden Handymarktes zu sichern. Durch die Schließung des Betriebs von BenQ Mobile verabschiedet sich nun der letzte deutsche Hersteller. Ähnlich war es zuvor bereits zum Beispiel vielen TV-Geräteherstellern und Produzenten von Computern ergangen.
BenQ Mobile ist aus der ehemaligen Siemens-Handysparte hervorgegangen. Die Mobilfunkgeräte waren lange eine Vorzeige-Sparte des größten deutschen Elektrokonzerns. Der heutige Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer nutzte in seiner Zeit als Vorstandsvorsitzender fast jede Gelegenheit, auf Hauptversammlungen und Bilanz- Pressekonferenzen für die Siemens-Handys zu werben. Im Februar 2000 versprach Pierer den Aktionären: "Nachdem wir im Vorjahr eine Stückzahl von 11 Millionen erreicht haben, sollen es im laufenden Geschäftsjahr 30 Millionen und nächstes Jahr bereits etwa 60 Millionen werden." Nicht einmal die Hälfte davon wurde es.
Die Münchner sicherten sich zwar eine starke Stellung auf dem deutschen Markt – zeitweise wurde fast jedes zweite in Deutschland verkaufte Handy von Siemens hergestellt. Weltweit fanden sie aber nie den Anschluss an Branchenriesen wie Nokia und Motorola. Eine Tatsache, die bei der Belegschaft auf Unverständnis stieß. "Wenn Nokia vom Gummistiefel-Produzenten zum Handy-Weltmarktführer aufsteigen konnte, dann wird es doch ein renommierter Hightech-Konzern auch schaffen", sagte Bayerns IG-Metall-Chef Werner Neugebauer über Siemens. In den besten Zeiten kam Siemens auf einen Weltmarktanteil von knapp zehn Prozent, zuletzt war es deutlich weniger. Profitabel ließ sich das Geschäft so nicht betreiben. Siemens entschloss sich zum Verkauf und gab die Sparte mit 3000 Mitarbeitern in Deutschland im Herbst 2005 an den BenQ-Konzern ab. Als Mitgift erhielten die Taiwanesen noch einen dreistelligen Millionenbetrag. Dennoch drehte BenQ nach nur einem Jahr seiner deutschen Tochter BenQ Mobile den Geldhahn zu. Nach dem Insolvenzantrag wagte kein Investor, das Unternehmen zu übernehmen. Daher wurde am Neujahrstag das Insolvenzverfahren offiziell eröffnet.
Die Entwicklung der Handyhersteller ist nach Einschätzung von Experten durchaus symptomatisch für die Probleme deutscher Unternehmen in der Konsumelektronik. Zwar sind die inländischen Hersteller bei der Entwicklung oft mit vorne dabei, und die Geräte sind meist grundsolide, wenn sie auf den Markt kommen. So schwärmen viele Nutzer noch heute von der Zuverlässigkeit älterer Siemens-Modelle wie dem S3, dem S6 oder auch noch dem äußerst beliebten S35. Zudem war zum Beispiel Bosch bei der Entwicklung von so genannten Triband-Modellen mit vorne dabei, die auch in den USA genutzt werden können. Doch viele internationale Wettbewerber bringen neue Entwicklungen mit viel Marketingaufwand deutlich schneller in die Geschäfte und haben oft das attraktivere Design.
So ging es denn auch bei Siemens bergab: Neue Trends wie Foto- und Klapphandys wurden verschlafen, auch im wichtigen Zukunftsmarkt China reagierte Siemens nach eigener Einschätzung nur schlecht auf die Bedürfnisse der Kunden. Daher hofften auch viele Mitarbeiter beim Verkauf an BenQ, dass der neue asiatische Eigentümer künftig schneller auf Marktveränderungen reagieren würde. Doch die Entwicklung setzte sich nahtlos fort. Auch unter der Marke BenQ/Siemens kamen viele Handys zu spät auf den Markt. Vor dem Insolvenzantrag lag der weltweite Marktanteil noch bei etwa drei Prozent.
Mit der Insolvenz erlitt die Ex-Siemens-Sparte nun das selbe Schicksal wie Hagenuk. Die ehemalige Preussag-Tochter mit Sitz in Kiel, die das erste deutsche Schnurlostelefon entwickelt hatte, war Mitte der neunziger Jahre Pleite gegangen. Bosch zog sich im Jahr 2000 etwas eleganter aus dem Markt zurück: Die Handyentwicklung wurde an Siemens verkauft, die Handy-Produktion im dänischen Pandrup wurde an den Auftragsfertiger Flextronics abgegeben. Auch der BenQ-Mobile-Insolvenzverwalter Martin Prager sah zuletzt höchstens noch eine Chance, als Auftragsbauer für andere Hersteller bestehen zu können. Einen eigenständigen deutschen Handykonzern dürfte es so schnell nicht mehr geben.
Der Weg der einstigen Siemens-Handy-Sparte ins Aus
7. Juni 2005 – Siemens gibt die Trennung von seinem Mobiltelefon-Geschäft mit weltweit 10.000 Beschäftigten bekannt. BenQ übernimmt die Sparte und darf die Marke Siemens fünf Jahre lang nutzen. Der Beschäftigungs-Sicherungsvertrag für die deutschen Werke aus dem Jahr 2004 bleibe bestehen, heißt es.
11. Juli 2006 – BenQ will mehr als 500 Arbeitsplätze in Deutschland streichen. Insgesamt hat BenQ hier 3000 Festangestellte.
24. August 2006 – Wegen der verspäteten Einführung neuer Produkte und Belastungen durch Bereinigungen der Modellpalette stellt sich das Unternehmen darauf ein, erst Mitte 2007 – und nicht wie ursprünglich geplant zum Jahresende 2006 – die Ertragswende zu erreichen.
28. September 2006 – Die Handyproduktion von BenQ Mobile steht vor dem Aus, nachdem der taiwanische Mutterkonzern bekannt gegeben hat, dass er keine Zahlungen mehr leisten will. Die mehr als 3000 Beschäftigten bangen um ihre Zukunft.
29. September 2006 – BenQ Mobile reicht beim Münchner Amtsgericht Insolvenzantrag ein. Der vorläufige Insolvenzverwalter Martin Prager will die Produktion bis Ende 2006 fortsetzen.
4. Oktober 2006 – Siemens-Chef Klaus Kleinfeld sagt BenQ Mobile zu, ihr zustehende Gelder in Höhe von 50 Millionen Euro zu überweisen. Weitere 100 Millionen Euro würden auf einem Treuhänderkonto hinterlegt, bis geklärt sei, ob das Geld der Muttergesellschaft in Taiwan oder der deutschen Tochter zustehe, heißt es.
19. Oktober 2006 – Prager kündigt an, dass rund 2000 der über 3000 BenQ-Mobile-Mitarbeiter in Deutschland ihren Arbeitsplatz verlieren.
20. Oktober 2006 – Politik und Wirtschaft einigen sich auf die Gründung von zwei Auffanggesellschaften für die Beschäftigten von BenQ Mobile. Die Gesamtfinanzierung ist zunächst noch nicht gesichert.
25. Oktober 2006 – Die BenQ-Mobile-Pleite trifft auch Zulieferer. Der Handy-Ausrüster Balda und der Chipkonzern Infineon erklären, man müsse sich von insgesamt 1400 Beschäftigten trennen. Auch der Hersteller elektronischer Komponenten Lumberg kündigt kurz darauf als Folge der Insolvenz Stellenstreichungen an.
24. November 2006 – Nach wochenlangen Verhandlungen steht die Finanzierung der beiden Transfergesellschaften für die von der Pleite betroffenen BenQ-Mobile-Beschäftigten. Siemens stellt über bereits zugesagte Mittel in Höhe von insgesamt 59 Millionen Euro hinaus weitere 12 Millionen Euro von einem Treuhänderkonto bereit.
11. Dezember 2006 – Nach Umsatzeinbrüchen rückt eine mögliche Schließung von BenQ Mobile in Deutschland näher. Wenn bis zum Jahreswechsel keine Einigung mit einem Investor zu Stande komme, müsse das Unternehmen dicht gemacht werden, erklärt Insolvenzverwalter Prager.
1. Januar 2007 – Nach der erfolglosen Investorensuche eröffnet das Amtsgericht München das Insolvenzverfahren für BenQ Mobile. Der Betrieb des Handy-Herstellers ist weitgehend eingestellt, es läuft lediglich noch eine Auslaufproduktion.