"5,5 Millionen Minuten für die Menschheit" -- zum 80. Geburtstag von Douglas Engelbart

Douglas C. Engelbart gilt als Erfinder der Computermaus, 1968 veranstaltete er am Rande einer Computerkonferenz eine Vorführung, die als "Mutter aller Demos" in die Geschichte des Computers einging.

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Von
  • Detlef Borchers

Heute wird der Computerpionier Douglas C. Engelbart 80 Jahre alt. Er gilt als Erfinder der Computermaus, 1968 veranstaltete er am Rande einer Computerkonferenz eine Vorführung, die als "Mutter aller Demos" in die Geschichte des Computers einging. Geboren wurde Engelbart am 30. Januar 1925 auf einem Bauernhof in der Nähe von Portland im amerikanischen Bundesstaat Oregon. Im Alter von 9 Jahren musste er nach dem Tod des Vaters auf dem Hof und in den Wäldern mitarbeiten. Die harte körperliche Arbeit bis zu seiner Einberufung in die US-Armee prägte sein Denken. Nach der High School schrieb sich Engelbart 1942 für das Studium zum Elektroingenieur am Oregon State College ein. In der Armee zum Radartechniker ausgebildet, wurde er außerhalb der USA in dem Moment stationiert, als Japan kapitulierte. Im Armeedienst las er den Aufsatz As We May Think, den Vannevar Bush, damals der ranghöchste Wissenschaftskoordinator in der US-Armee, in Atlantic Monthly veröffentlicht hatte. 1948 schloss Engelbart sein Studium ab und wurde Elektroingenieur bei der National Aeronautic Commission, der Vorläuferin der NASA. Engelbart heiratete 1950 und musste in einem Schock realisieren, dass er alles erreicht hatte, was sich ein Bauernsohn wünschen konnte: Überschlägig gerechnet müsse er noch 5,5 Millionen Minuten arbeiten, ohne ein Ziel zu haben.

Engelbart beschloss, sein Leben in den Dienst der Menschheit zu stellen und ein System zu entwickeln, das die von Vannevar Bush aufgeworfenen Fragen lösen hilft: Wenn die Menschheit vor immer komplexere Fragen gestellt wird, zu deren Lösung die unterschiedlichsten Quellen herangezogen werden müssen, dann genügt es nicht, wie Bush ein mechanisches Memex zu konstruieren, das Dokumente verknüpft. Was benötigt wird, ist ein Genex, wie es später Ben Shneiderman formulierte, ein System, das Wissen im Viererschritt Collect, Relate, Create und Donate verteilt. Engelbart selbst nannte seinen Ansatz im Jahre 1962 Augmenting the Human Intellect: Durch Computer, durch das Lernen mit Computern, kann die Menschheit Probleme angehen, die sie sonst nicht lösen kann. Engelbart ging an die Universität zurück und schloss die Ausbildung 1955 in Berkeley mit einer Promotion über Gas-Plasma-Bildschirme ab, für die er 13 Patente einheimste. Ein Job-Angebot bei Hewlett-Packard schlug er aus, nachdem ihm mitgeteilt wurde, dass die Firma nicht in die Computertechnik investieren wolle. 1957 fand Engelbart eine Anstellung beim Stanford Research Institute (SRI), als der Sputnik-Schock dafür sorgte, dass reichlich Fördermittel auch in Projekte fließen konnten, die vage versprachen, den Westen voranzubringen.

Mit wechselnden Besetzungen werkelte Engelbart in den 60er Jahren an seiner Idee, die NLS (Online Systems) getauft wurde. Sein Talent, fähige Wissenschaftler aufzuspüren, wurde nur von seinem Talent übertroffen, seine Mitarbeiter zu verärgern. Zu den Pionieren, die mit Engelbart arbeiteten, gehörten Bill English (Miterfinder der Maus, später beim Xerox PARC), Ted Nelson (Erfinder des Hypertext-Systems Xanadu) und Charles Irby (Chefprogrammierer bei Silicon Graphics, dann General Magic). Das NLS war seiner Zeit weit voraus, ein Düsenjäger in einer Welt, die gerade das Fahrrad erfunden hatte. Die berühmte Maus, die Engelbart und English entwickelten, brachte es 1970 unter der Nr. 3,541,541 zum Patent, das zu früh im Jahre 1987 verfiel, um wirklich Geld zu bringen. Nach der Wikipedia war Apple mit 40.000 Dollar eine der wenigen Firmen, die für die Maus zahlten. Das Cut&Paste sowie das System überlappender Informationsfenster des NLS konnte Engelbart nicht patentieren lassen, weil damals Software nicht patentierbar war.

Im Jahre 1968, als Flower Power San Francisco beherrschte, organisierte Douglas Engelbart für einen Kongress von Computerwissenschaftlern in der Brooks Hall eine Demonstration seines NLS, die als Mutter aller Demos in die Geschichte einging, nach der Engelbart donnernde Standing Ovations der anwesenden Wissenschaftler genießen konnte. Neben der Maus wurde an zwei Online verbundenen CDC 3100 erstmals ein Online-Chat mit integriertem Video gezeigt, Copy&Paste mit einer graphischen Benutzeroberfläche sowie die Computersteuerung mit kontextsensitiver Hilfe. Zur Feier dieser Demo eröffnete die heutige US-Außenministerin Condoleezza Rice 30 Jahre später eine Konferenz, die Engelbarts Ideen als "unvollendete Revolution" thematisierte. Unvollendet blieb Engelbarts Arbeit, weil er sich am SRI nicht gegen die Forscher der Künstlichen Intelligenz durchsetzen konnte, die sein NLS an die Firma Tymshare verkauften. Dort missverstand man NLS als ein System für die Büroautomation und die Vernetzung von Sekretärinnen.

Auch heute noch sind Engelbarts Ideen, die nunmehr um Groupware und HyperScope-Systeme kreisen, noch unvollendet. In dem vom Maushersteller Logitech finanzierten Bootstrap Institute geht Engelbart seinen Ideen, soweit das sein Alter zulässt, weiter nach. "Ich habe dort ein Zimmer und kann den Kopierer benutzen, das reicht mir", erklärte er in einem kürzlich geführten Interview. Die einstmals errechneten 5,5 Millionen Arbeitsminuten hat Engelbart vor 15 Jahren absolviert. (Detlef Borchers) / (jk)