Britisches Innenministerium arbeitet an der Spitzelgesellschaft

Verwaltungsangestellte, Sozialarbeiter und Ärzte sollen in Großbritannien künftig gesetzlich verpflichtet werden, Informationen über mögliche Gewaltverbrecher an die Polizei weiterzugeben.

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Verwaltungsangestellte, Sozialarbeiter und Ärzte sollen in Großbritannien künftig gesetzlich verpflichtet werden, Informationen über mögliche Gewaltverbrecher an die Polizei weiterzugeben. Dies sehen Vorschläge aus dem britischen Innenministerium vor, die der Times zugespielt wurden. Zunächst soll mit dem Vorstoß von Simon King, dem Chef der für gewalttätige Straftaten zuständigen Abteilung im Innenministerium, der Informationsaustausch zwischen verschiedenen Behörden effizienter gestaltet werden. Damit wäre aber auch verbunden, dass eine große Menge an persönlichen Daten einschließlich besonders sensibler medizinischer Dossiers zwischen zahlreichen Ämtern und Sicherheitsbehörden herumgereicht würde. Begründete Verdachtsmomente über das potenzielle Risiko der betroffenen Personen müssten nicht nachgewiesen werden.

"Öffentliche Einrichtungen werden Zugang zu wertvollen Informationen haben, die Ausführende oder Opfer schwerer Gewalt zu werden drohen", wirbt King für die geplante Spitzelverordnung. Die in Betracht gezogenen Berufsgruppen würden "mit Sicherheit die Polizei oder andere relevante Behörden benachrichtigen, wenn sie guten Grund zur Annahme haben, dass Gewaltverbrechen zu befürchten sind". Der Vorschlag gehe aber über diese freiwillige Zusammenarbeit hinaus. Sollten die auserkorenen Hilfspolizisten nämlich "ausreichend besorgt sein über eine Person", müssten sie eine erste Risikoanalyse an die geplante Behördenschnittstelle weitergeben. Zwei neue Einrichtungen – eine für potenzielle Straftäter und eine für mögliche Opfer – sollen die eingehenden Berichte sammeln und eine "vollständige Gefährdungseinschätzung" vornehmen. Welche weiteren Präventionsmaßnahmen folgen sollen, geht nicht aus den Entwürfen hervor.

Die Veröffentlichung der Pläne hat bereits eine heftige Kontroverse in Großbritannien ausgelöst. Der Guardian fühlt sich an den Science-Fiction-Film Minority Report erinnert, in dem potenzielle Straftäter vor dem Begehen eines Verbrechens ausgemacht und verhaftet werden. Die Tageszeitung verweist zudem auf weitere Regierungspläne, wonach unter anderem ungeborene Babys auf das Risiko eines möglichen sozialen Ausschlusses und sich daraus ableitende Verbrechensneigungen hin eingeschätzt werden sollen. Ein weiterer Gesetzesentwurf, der bereits vom Parlament beraten werde, will eine ähnliche Untersuchung bei Menschen mit geistigen Störungen verpflichtend machen.

Widerstand gegen das Vorhaben des Innenministeriums haben etwa Gewerkschaften angekündigt. Sie wollen verhindern, dass Verwaltungsmitarbeiter ihre Kontaktpersonen aus der Bevölkerung ausspionieren müssen. Auch die Bürgerrechtsorganisation Liberty zeigte sich besorgt. Sie will wissen, was mit den Leuten passieren soll, die unschuldig seien, aber einem Verdachtsprofil entsprächen. Zudem sei die Frage aufzuwerfen, "wie weit wir bei der Verfolgung des unrealistischen Versprechens einer risikolosen Gesellschaft zu gehen bereit sind".

Aber auch im Innenministerium gibt es Zweifel an der Durchführbarkeit des Vorhabens. Staatssekretär David Davis sieht die Polizei bereits heute mit Informationen überversorgt. Großbritannien sei bereits eine "Überwachungsgesellschaft", sodass in diesem Bereich nicht mehr nachgebessert werden müsse. Sein Kollege von den Liberalen, Nick Clegg, verurteilte die Pläne als endgültige Abschaffung der Unschuldsvermutung und brachte sie in Zusammenhang mit Vorhaben zur Sammlung von DNA-Daten Unschuldiger. Offiziell ließ das Innenministerium nur verlautbaren, dass dort der Schutz der inneren Sicherheit höchste Priorität habe. (Stefan Krempl) / (anw)