Reggae für Deutschland

Kommentar zur Bundestagswahl: Was für eine Jamaika-Koalition spricht.

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Kommentar von Thomas Vasek, Chefredakteur Technology Review

Die Wahl ist geschlagen, das Ergebnis so verkorkst wie die deutsche Seele. Wie wird es weitergehen? Und vor allem: Wie kommt das Land wieder nach vorn? Zumindest in einem Punkt besteht Konsens: Auf dem Weg in die Zukunft braucht Deutschland mehr Wachstum durch Innovation und neue Technologien. Das sagt sich leicht wie jede Platitüde. Aber auf welche Technologiefelder soll Deutschland in den nächsten Jahren setzen? Anders gefragt: Wo haben wir überhaupt eine Chance?

Die Ausgangslage ist ernüchternd. In der Informations- und Kommunikationstechnologie, insbesondere bei der Hardware, gibt es für Deutschland nichts mehr zu gewinnen. Dieser Zug ist schon seit langem abgefahren - auch die nächste Computergeneration wird nicht aus deutschen Landen kommen. Deutschlands Automobilindustrie wiederum kämpft gegen Probleme an allen Ecken und Enden. Die Branche, eingeklemmt zwischen Kostendruck, Treibstoffpreisen und Klimaproblem, steuert längerfristig auf eine existenzbedrohende Krise zu. In zehn Jahren könnte von Deutschlands Vorzeigeindustrie nicht mehr viel übrig sein. Die Biotech-Branche laboriert noch immer an ihrem Spätstart in den 90er Jahren. Auf absehbare Zeit wird sie den Rückstand nicht aufholen können. Und die Nanotechnologie ist immer noch ein vages Versprechen der Zukunft.

Sicher, es gibt Oasen der Hoffnung - Medizintechnik oder optische Technologien zum Beispiel. Aber auch die besten MRT-Scanner und -Laser der Welt werden Deutschland nicht entscheidend voranbringen. Meine Vision ist eine andere: Deutschlands Hightech-Zukunft liegt in der Umwelt- und Energietechnik. Dafür sprechen mehrere Gründe. Erstens: "Saubere" Technologien, von erneuerbaren Energien bis zu Wasseraufbereitung für die Dritte Welt, erleben derzeit einen spektakulären Boom. Großkonzerne investieren bereits Milliarden in den neuen Trend. Der Markt ist gigantisch: In der US-Technologieszene wird "Cleantech" bereits als das "nächste große Ding" gefeiert.

Zweitens: In Energie- und Umwelttechnik sind wir, nicht zuletzt wegen der Subventionspolitik der letzten Jahre, hervorragend aufgestellt. Deutschland hat gute Chancen, sich als weltweit führender Cleantech-Standort zu profilieren. Drittens: Eine Fokussierung auf Energie- und Umwelttechnik würde Synergieeffekte mit anderen Schlüsselbranchen ermöglichen, vor allem mit der Automobilindustrie. Auch Zukunftstechnologien wie die Nanotechnologie, etwa in der Brennstoffzellen-Technik, könnten davon profitieren.

Viertens schließlich: Im Unterschied zu anderen Technologiefeldern haben Energie- und Umwelttechnik hohe Akzeptanz in der deutschen Bevölkerung. Das könnte indirekt auch umstrittenen Technologien nützen: In Hinblick auf pflanzliche Alternativ-Treibstoffe könnte man sich in Deutschland sogar wieder Experimente mit grüner Gentechnik vorstellen.

Vor zwei Monaten habe ich für die Grünen als "Technologie-Partei" argumentiert. Das hat mir einige Zustimmung, aber auch ein paar hasserfüllte Mails von Öko-Gegnern eingetragen. Diesmal möchte ich noch einen Schritt weitergehen: Wenn Deutschlands Zukunftschancen in Cleantech liegen, brauchen wir ein Bündnis zwischen Grünen und Wirtschaft. Mit anderen Worten: Jamaika. Und wenn das nicht klappt: Cleantech wäre auch ein schönes außerparlamentarisches Projekt.

Dieses Editorial erscheint in der kommenden Ausgabe von Technology Review am 29. September. (anw)