Aufregung um Vorratsdatenspeicherung in Österreich

Die Pläne der Regierung gehen weit über die Vorgaben der EU-Richtlinie hinaus. Sind die Daten erst gespeichert, sollen sie umfassend verwendet werden.

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In Österreich regt sich breiter Widerstand gegen die Vorratsdatenspeicherung. Der Gesetzesentwurf der Regierung, mit dem die Data-Retention-Richtlinie der EU umgesetzt werden soll, erntet Kritik von unterschiedlichen Seiten. Vor allem die beabsichtigte Nutzung der Daten nicht nur für die Bekämpfung von Terrorismus, sondern sogar für Fahrlässigkeitsdelikte sorgt für Proteste. Dienstagabend, am Tag nach dem Ende der Begutachtungsfrist, diskutierten Gegner der Vorratsdatenspeicherung im Republikanischen Club in Wien.

Einige Organisationen haben in den vergangenen Tagen Änderungen am Regierungsentwurf gefordert, darunter die Wirtschaftskammer Österreich, der Verein Quintessenz, die Kammer für Arbeiter und Angestellte, der Verband der Internet-Provider ISPA, die Arge Daten, ebenso die Grünalternative Jugend Wien und der Konsumentenschutzsprecher der Regierungspartei SPÖ, Johann Maier, der auch stellvertretender Vorsitzender des Datenschutzrates und Nationalratsabgeordneter ist. Vor allem zwei Elemente des Entwurfs schüren den Unmut: Es gibt keine Regelung darüber, wer die Kosten für die Vorratsdatenspeicherung tragen soll – Wirtschaft und Konsumentenschützer fordern Kostenersatz für die Telekommunikationsanbieter. Und die Regierung möchte die Daten für wesentlich mehr nutzen, als in der EU-Richtlinie vorgesehen.

"Der zentrale Punkt ist die Frage, bei welchen Delikten die Vorratsdatenspeicherung heranzuziehen ist", sagte Maier im Republikanischen Club. Das Verkehrsministerium hat eine Formulierung aus dem Sicherheitspolizeigesetz gewählt, die alle Delikte umfasst, die mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht sind. Darunter fallen Amtsmissbrauch, Stalking, diverse Fahrlässigkeitsdelikte, Schwere Wilderei oder Urheberrechtsvergehen. "In Deutschland spricht man von der Kriminalisierung der Schulhöfe", so Maier. Die gespeicherten Daten sollten seiner Meinung nach ausschließlich im Kampf gegen Kriminelle Organisationen, Terrorismus und Terrorismusfinanzierung (Paragraphen 278 und 278 a – d StGB) genutzt werden.

Hans Zeger von der Arge Daten meinte jedoch: "Die Diskussion über die Strafhöhe (ab der die Daten zur Aufklärung genutzt werden dürfen) ist ein Scheingefecht. Es bräuchte nur eine unappetitliche Straftat (die mit den Daten eventuell aufgeklärt werden könnte), und die Regelung würde auf öffentlichen Druck sofort abgeschafft." Der Rubikon würde mit der Speicherung der Daten auf Vorrat überschritten. Die dann verfügbaren Informationen weckten automatisch Begehrlichkeiten.

Christian Schmaus vom Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte äußerte die Befürchtung, dass die Vorratsdatenspeicherung einen "bescheidenen Mehrwert für die Strafverfolgung" leisten werde. Ähnliches führte Zeger aus, der auf den ausgebliebenen Erfolg der Rasterfahndung hinwies. Allerdings erwarte er "ähnliche kriminelle Netzwerke wie Spam und Identitätsdiebstahl mit Hilfe der Vorratsdatenspeicherung." Auch Maier fürchtet Missbrauch der einmal gespeicherten Daten: "Die Strafen für Datenmissbrauch sind keinesfalls ausreichend, weder im Telekommunikationsgesetz noch im Datenschutzgesetz."

Adrian Dabrowski von der Quintessenz wies auf den begrenzten Nutzen der Auswertungen hin: "Die Daten sind nicht unfälschbar und nicht unmanipulierbar."Anonymität werde weiterhin möglich sein, nur teurer. "Man kann dem organisierten Verbrechen viel vorwerfen, nur keinen Geldmangel", meint Dabrowski. Die Möglichkeiten der Umgehung seien vielfältig. Das Routen von Anrufen durch Nicht-EU-Länder, der internationale Einsatz von ENUM oder die Verwendung von Familien- oder Firmenanschlüssen würden den Wert der gespeicherten Informationen ebenso reduzieren wie der Gebrauch und regelmäßige Wechsel von anonymen SIM-Karten, Callingcards, Telefonzellen oder Callshops.

Alle Diskutanten hatten Bedenken bezüglich der Verfassungsmäßigkeit des Regierungsentwurfs, der Vereinbarkeit mit der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie mit europäischen Datenschutzbestimmungen. Maier und der Liberale Nationalratsabgeordnete Alexander Zach kündigten an, sich im Parlament insbesondere für eine Eingrenzung der Delikte einzusetzen, für deren Bekämpfung die Daten herangezogen werden dürften. Sollte das nicht gelingen, will Maier bei der Abstimmung im Nationalrat "möglicherweise dann dagegenstimmen oder den Saal verlassen". (Daniel AJ Sokolov) / (anw)