Medienrechtler: Internet muss wieder höflicher werden

Ganz am Anfang war das Internet ein friedlicher Ort, an dem sich ein paar Wissenschaftler trafen. Heute ist es ein Massenmedium. Und der Umgangston ist deutlich rauer. Professor Thomas Hoeren fordert Umdenken.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 283 Kommentare lesen
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Christof Bock
  • dpa

Der Umgangston im Internet sollte nach Ansicht des Medienrechtlers Professor Thomas Hoeren wieder ähnlich höflich werden wie in den Anfangsjahren des globalen Computernetzes. "Was man verkennt, was Teenager vor allem verkennen: Es gibt kein Vergessen im Internet", sagte der Experte vom Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht der Universität Münster der Nachrichtenagentur dpa. Hoeren ist auch Herausgeber des Kompendiums Internetrecht.

"Das muss man sich richtig klarmachen. Wenn man dann aus Spaß jemanden anzugehen versucht und meint, man müsse da Mobbing betreiben, ist es nicht damit getan, dass man sich entschuldigt. Da zieht eine ganze Karawane durchs Internet und tut den Leuten noch in 20 Jahren weh." Hoeren sprach sich für eine breite Bildungsoffensive in der Gesellschaft zu verbaler Gewalt im Netz aus.

Hoeren gehörte in den 1990ern zu den ersten Internet-Nutzern in Deutschland. Damals seien Anstand und gepflegter Umgangston im Netz durch die "Netikette" geregelt gewesen. "Das war eigentlich am Anfang selbstverständlich. Es gab immer eine Art Grundverständnis, wie man miteinander umgeht." In der Onlinegemeinde – damals vor allem Wissenschaftler – habe sich keiner durch die Netikette zensiert gefühlt. "1995 galten sie noch. 1997 gab es dann die Aufschreie: "Was soll das eigentlich?" Und als das Netz sich dann für jedermann geöffnet hat, dauerte es wenige Monate, da sind die Regeln schlicht in Vergessenheit geraten", erinnerte sich Hoeren. "Und keiner fühlt sich verpflichtet, sie einzuhalten."

Der US-Autor Jaron Lanier habe die Wendung "Kultur des Sadismus" geprägt und in den USA eine Riesendebatte über das Verhalten der Masse ausgelöst. Es seien sogar die Begriffe "Proto-Totalitarismus" und "Proto-Faschismus" im Gespräch, wenn es um die Gefahren des anonymen Menschenmeers im Netz gehe. Die Diskussion habe in Deutschland nicht einmal begonnen, obwohl Handlungsbedarf bestehe.

Der Jurist betonte: "Wichtig ist, dass die Debatte nicht nur die Blogger erreicht, sondern im Grunde schon in den Schulen ansetzt. Es gibt eine Art Alterspyramide in der "Kultur des Sadismus"." Cybermobbing sei vor allem ein Jugendphänomen. "In den Schulen gibt es schon eine Grundkultur: Alles auszuprobieren, Blödsinn zu erzählen, andere anzuzählen. Da müsste man schon klarmachen: Es gibt eine Ethik des Netzes." Man müsse auch den Cybermobbern die Frage vor Augen führen: "Wenn Ihr das Opfer seid, was macht das mit Euch?"

"Es gibt in den Blogs sehr viele wichtige Menschen, die einiges bewirkt haben, was die Herstellung einer politischen Öffentlichkeit angeht, die anderweitig auch nicht herstellbar ist", meint Hoeren. Doch sei das "niederschwellige Medium" Internet ein zweischneidiges Schwert. "Es führt eben auch dazu, dass Menschen sich berufen fühlen, sich da zu äußern, die überhaupt keine Ahnung vom Thema haben und – zum Teil auf unterstem Niveau – erst einmal rumblaffen und rumbellen, ohne dass da Sinn und Verstand dabei ist."

Fast immer seien es übrigens Männer, die im Netz herumpöbelten. "Ich bin seit 13 Jahren Richter und habe viel mit internetrechtlichen Fällen zu tun. In 95 Prozent der Fälle sind es Männer, würde ich schätzen", so Hoeren. (anw)