Novell: Linux, die Zukunft und der ganze Rest

"Linux -- Identität -- Zukunft", so der Titel des Novell-Kolloquiums in Bonn: Novell-Chef Jack Messman pries die Vorzüge der Identitätsdienste unter Linux, während Linux-Migrationen und das Ende des Internet vorgestellt wurden.

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Von
  • Detlef Borchers

"Linux -- Identität -- Zukunft": Unter diesem Titel lud Novell gemeinsam mit der Financial Times Deutschland zu einem Bonner Kolloquium. Teilnehmer waren überwiegend IT-Leiter großer Unternehmen, die größtenteils auf Linux setzen oder vor der Migration nach Linux stehen. Unmittelbarer Anlass war der Auftritt von Novell-Chef Jack Messman, der zuerst auf dem IT-Forum des Handelsblatts, dann auf dem eigenen Kolloquium über Identity Services referierte. Das Thema ist der Firma wichtig: Unter der seltsamen Gleichung "Novell = Linux + Identität" bestreitet Novell den diesjährigen Auftritt auf der CeBIT. Der Reiz solcher Aussagen besteht darin, dass sie nahezu beliebig formuliert werden können. Entsprechend bunt gemischt fiel auch das Bonner Kolloquium aus. Neben dem recht allgemein gehaltenen Referat von Jack Messman (PDF), der die Vorzüge der einstmals Netware Directory Services (NDS) genannten Identitätsdienste unter Linux pries, wurde eine erfolgreiche Linux-Migration und das Ende des Internet vorgestellt.

Die Geschichte einer erfolgreichen Linux-Migration erzählte Carsten Stockmann (PDF) vom Finanzdienstleister MLP. Im Zuge der Neuprogrammierung der Backend-Dienste (Brokat-Software wurde durch J2EE/Struts ersetzt) entschied man sich, die komplette EDV zu renovieren. Ursprünglich sollten 300 Server unter Netware 4.11, NDS Version 6 und Domino 4.6 durch Microsoft-Server ersetzt werden, doch dann setzte die Firma "im Wahn, noch mehr Kosten zu sparen", auf Suse Linux -- kurz bevor der Linux-Distributor von Novell übernommen wurde. Nun arbeitet MLP mit 120 bis 130 Linux-Servern, wobei die Clients unter Windows XP und der neuesten Office-Version von Microsoft betrieben werden. In seinem kurzweiligen Referat betonte Stockmann, dass die Entscheidung für Linux unter den Netware-Admins und Microsoft-Hassern zusätzliche Energien freisetzte, ohne die das Projekt gescheitert wäre. Auch Novell war mit Engagement dabei: Die Firma schickte in einer besonders kritischen Phase einen "Engel", der das Gesamtsystem zum Laufen brachte.

Einen anderen Akzent setzte der Erlanger Wirtschaftswissenschaftler Michael Amberg (PDF), der sich unter Bezug auf das Limux-Projekt und ähnlicher IT-Vorhaben mit der Wirtschaftlichkeitsberechnung solcher Projekte befasste. Er machte auf grundsätzliche Schwächen aufmerksam, wenn Infrastruktur-Projekte wie die Migration auf Open-Source-Software bilanztechnisch falsch kalkuliert werden und zeigte, wie solche Berechnungen gezielt beeinflusst werden können. Amberg forderte die versammelten IT-Spezialisten auf, dem Gestaltungsprinzip vor dem Wirtschaftlichkeitsprinzip den Vorrang zu geben und große Projekte zu wagen, die die dümpelnde deutsche IT-Szene aus ihrer Routine und Lethargie befreien können.

Für viele Leser scheint das Gesetz "Ich kann Heise nicht erreichen, also ist mein Internet-Anschluss kaputt" tatsächlich Gültigkeit zu besitzen. Die Attacken auf heise online zeigten aber deutlich, dass solche Gesetze keinen Bestand haben. Ähnliches gilt von der Vorstellung eines "unkaputtbaren" Internet. Das düstere Szenario vom Zusammenbruch des Internet entwickelte der Grazer Informatiker Hermann Maurer (PDF), um vor fehlgelaufenen IT-Entwicklungen und den Risiken der Globalisierung zu warnen. Maurer, der Science-Fiction schreibt, erzählt in seinem Paranetz, wie der Zusammenbruch des Internet nur durch eine Zeitreise in die Anfänge des Internet verhindert werden kann.

Im Rahmen des Bonner Kolloquiums zeigte Maurer aber andere Wege auf. Am sichersten sei der Zusammenbruch zu verhindern, wenn sich die Entwickler von der von Neumann-Architektur verabschieden, wenn Betriebssysteme und Programme nur als Hardware ausgeliefert werden und sich Write-Once-Speichermedien auf breiter Front durchsetzen -- auf dass ein Reset zu jedem Zeitpunkt an jedem Rechner möglich sei. Eine abgespeckte Variante der Vorsorge vor dem großem Blackout liefern nach Maurer Thin Clients und Open-Source-Betriebssysteme wie das Adhoc-System Open Croquet. Noch schwächeren Schutz, dafür aber heute realisierbar, biete der softwaretechnische Ansatz, an einem Internet-Anschluss nur mit geprüften, verschlüsselten Programmen zu arbeiten und nur verschlüsselte Kommunikation von zuvor identifizierten Partnern zu gestatten. Ansätze wie das Trusted Computing lehnte Maurer jedoch mangels Offenheit ab.

Während die nahe Zukunft also mit Linux für Novell rosig-rot dargestellt wird, soll die ferner liegende düster, aber veränderbar sein. Mit dieser Einsicht begab sich das Kolloquium zum Gala-Dinner. (Detlef Borchers) / (jk)