Innenminister stellt Anonymität im Netz zur Disposition [2. Update]

Angesichts der Anschläge in Norwegen hat Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) in einem "Spiegel"-Interview die Möglichkeit anonymer Blogs in Frage gestellt: "Normalerweise stehen Menschen mit ihrem Namen für etwas ein."

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Von
  • Christian Kirsch

Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hat in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel die Anonymität im Netz in Frage gestellt. "Normalerweise stehen Menschen mit ihrem Namen für etwas ein. Warum nicht auch ganz selbstverständlich im Internet", meint Friedrich und betont, die Grundsätze der Rechtsordnung müssten auch im Netz gelten.

"Ich weiß, dass mir das in der Netzgemeinde wüste Beschimpfungen einbringen wird, aber warum müssen Fjordman und andere anonyme Blogger ihre wahre Identität nicht offenbaren", fragte der Christsoziale im Hinblick auf den anti-islamischen Blogger, auf den sich sich der norwegische Attentäter Anders Behring Breivik in seinem Manifest bezieht.

"Wir haben immer mehr Menschen, die sich von ihrer sozialen Umgebung isolieren und allein in eine Welt im Netz eintauchen", sagte der Innenpolitiker. "Politisch motivierte Täter wie Breivik finden heute vor allem im Internet jede Menge radikalisierter, undifferenzierter Thesen, sie können sich dort von Blog zu Blog hangeln und bewegen sich nur noch in dieser geistigen Sauce", sagte Friedrich dem Spiegel weiter.

[Update:]
Die von Friedrich erwartete Kritik kam prompt: Die Möglichkeit, sich anonym zu äußern sei Voraussetzung für echte Meinungsfreiheit, erklärte die Piratenpartei. "Herr Friedrich greift hier einen der Grundpfeiler unserer Demokratie an", sagte der Parteivorsitzende Sebastian Nerz. "Meinungsfreiheit bedeutet, seine Meinung ohne Angst vor Konsequenzen frei sagen zu können. In letzter Instanz ist dies nur anonym möglich."

Als "Ausdruck von Hilfslosigkeit" wertete der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz die Überlegungen des Bundesinnenministers. "Der Gedanke ist ja menschlich durchaus sympathisch", sagte er dem Kölner Stadt-Anzeiger. "Aber das internationale Netz entwickelt sich weltweit naturwüchsig und richtet sich nicht nach der Meinung des deutschen Innenministers oder anderer wohlgesinnter Zeitgenossen." Es sei "unglaublich naiv", wenn Friedrich glaube, die Probleme mit dem Extremismus auf diese Weise in den Griff zu bekommen.

[2. Update, 8.8.2011]:
Der Anwalt und Blogger Udo Vetter stellte im Hyperland-Blog des ZDF klar, dass Anonymität im Netz auch "Schutz gegen die Tyrannei der Mehrheit" bedeute. Zudem wies er darauf hin, dass es für viele Blogs bereits eine Impressumspflicht gebe. Vetter findet deutliche Worte: Jede staatliche Maßnahme gegen Blogger gefährde das so wichtige Grundrecht auf Meinungsfreiheit. Zum anderen sei die Klarnamenpflicht praktisch nur durchsetzbar, wenn das Internet nach den Vorbildern China, Nordkorea und Iran ausrgerichtet werde: "Nur ein aufgeplusterter Überwachungsapparat, und zwar auf grenzüberschreitender Ebene, könnte das Internet von Pseudonymen säubern. Das hätte ähnlich fatale Folgen, wie sie das Bundesverfassungsgericht für die Vorratsdatenspeicherung beschrieben hat. Der ehrliche Bürger nimmt dann aus Angst, Ärger durch Überwachung zu kriegen, sein Recht auf Meinungsäußerung gar nicht mehr wahr."

Auch in der Regierungskoalition wird bezweifelt, ob sich die Forderungen Friedrichs überhaupt umsetzen lassen. Burkhardt Müller-Sönksen, medienpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, sagte der Berliner Morgenpost, die Forderung sei illusorisch: "Kommentare und Blogs sind im weltweiten Netz nicht kontrollierbar. Jeder kann sich eine E-Mail unter falschem Namen zulegen. Wie will Herr Friedrich das bitte überprüfen?" Für die Umsetzung fehle es allein schon an Personal: "Sie können nicht Millionen Einträge mit einer handvoll Mitarbeiter überwachen."

Der netzpolitische Sprecher der Grünen, Konstantin von Notz, kritisierte: "Herr Friedrich kann nicht einmal in Deutschland für einen angemessenen Datenschutz sorgen, und jetzt will er global die Anonymität im Internet abschaffen. Das ist schlichtweg nicht möglich." Der SPD-Experte Lars Klingbeil verwies darauf, dass schon jetzt strafrechtlich relevante Beiträge im Netz verfolgt würden. "Das Problem sind eher Kommentare, die noch nicht strafbar sind, aber extreme Inhalte aufweisen", sagte Klingbeil der Zeitung. In der Berliner Zeitung sprach von Notz von einer "wohlfeilen Nebelkerze" des Bundesinnenministers. Klingbeil warf Friedrich in dem Blatt "Profilierung im Sommerloch" vor. (ck)