Klassenkampf am Himmel

Entschärfte Vorschriften und neue Technik machen das Fliegen für Privatleute einfacher und preiswerter. Damit bekommt die alte Technik-Utopie Auftrieb, Kleinflugzeuge auch als individuelle Verkehrsmittel einzusetzen.

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Von
  • Günter Stauch
Inhaltsverzeichnis

Entschärfte Vorschriften und neue Technik machen das Fliegen für Privatleute einfacher und preiswerter. Damit bekommt die alte Technik-Utopie Auftrieb, Kleinflugzeuge auch als individuelle Verkehrsmittel einzusetzen.

Die AERO, eine europaweite Fachmesse für alles, was in der privaten Luftfahrt Rang, Namen und Flügel hat, lockt jedes Jahr Zehntausende nach Friedrichshafen. Hier suchen luxuriöse Business-Jets kapitalkräftige Käufer, und sündhaft teure Highend-Helikopter erfüllen aufs i-Tüpfelchen genau das Klischee vom Spielzeug für Superreiche: the sky is the limit. Aussteller von Ultralight-Flugzeugen, Hängegleitern, motorisierten Drachen und anderen exotischen Flugapparaten wurden am Bodensee jahrelang nur belächelt.

Mittlerweile aber nimmt die einst unterschätzte Branche die meisten Hallen auf dem Ausstellungsgelände in Anspruch. Teilten jahrzehntelang nur wenige Hersteller wie Cessna oder Piper den Markt für Privatmaschinen unter sich auf, gibt es jetzt einen ganzen Zoo von Fluggeräten für Freizeitpiloten – und das Angebot wird immer vielfältiger: Die in den Achtzigern in Europa etablierten Ultraleichtflugzeuge (UL) mit einem Maximalgewicht von rund einer halben Tonne sind heutzutage so erwachsen geworden, dass sie mitunter mehr Leistung bieten als herkömmliche, bis zu zwei Tonnen schwere Pipers oder Cessnas. Und in den USA wurde 2004 mit den Light Sport Aircrafts (LSA) eine UL-ähnliche Kategorie geschaffen, für die jetzt die ersten Maschinen auf den Markt kommen. Unterhalb der UL-Klasse existiert seit 2010 in Deutschland sogar ein neues Ultra-Ultraleicht-Segment der "leichten Luftsportgeräte" mit einem Leergewicht bis 120 Kilogramm. Diese neuen Klassen machen das Fliegen nicht nur für Sportpiloten erschwinglicher. Auch der alte Pendlertraum, über jeden Stau hinweg zur Arbeit zu fliegen, bekommt neuen Auftrieb – und mit ihm das Konzept der fliegenden Autos.

Dass Cessna und Co. ihren Ruf vom Spielzeug für Reiche nie richtig loswurden, liegt auch an den ständig steigenden Spritpreisen und der Gängelung durch die Behörden. Die in Deutschland sogenannte "E-Klasse" (benannt nach ihrem Flugzeug-Kennzeichen, das immer mit "D-E" beginnt) ächzt unter neuen kostspieligen Auflagen wie der Einführung von Notfunkgeräten, speziellen Radarsystemen und Feuerlöschern. "Allmählich muss ich meine zweisitzige Schulungsmaschine so ausstatten wie ein Verkehrsflugzeug", klagt ein Augsburger Flugschulenbesitzer. Dagegen kann sich die UL-Branche über wesentlich großzügigere Rahmenbedingungen und entschärfte Vorschriften freuen. Mithilfe des Deutschen Aeroclubs (DAeC), Lobbyverband aller Freizeit-Aviateure, darf sich die Szene gleich selbst überwachen, was für deutsche Verhältnisse höchst ungewöhnlich ist. So obliegt etwa die Musterzulassung von Maschinen nicht wie sonst dem Luftfahrt-Bundesamt, sondern dem vom DAeC damit beauftragten Deutschen Ultraleichtflugverband. ULs gelten in Deutschland nämlich als "Luftsportgeräte" und stellen damit keine Flugzeuge im luftrechtlichen Sinne dar.

Noch anspruchsloser ist die neue Klasse bis 120 Kilogramm. Bei ihr verzichtet man völlig auf die aufwendige Musterzulassung. Geprüft wird nur, ob so ein Teil überhaupt in die Luft kommt. Fluglizenzen werden unbefristet erteilt und müssen nicht mehr, wie sonst üblich, durch eine gewisse Zahl an Flugstunden aufrechterhalten werden. Ein ärztliches Tauglichkeitszeugnis, das – etwa bei stark kurzsichtigen Interessenten – das Aus der Pilotenkarriere bedeuten kann, ist erst gar nicht erforderlich.

Die europäische Flugbehörde EASA will die Vorschriften insgesamt weiter entrümpeln. So kursieren Arbeitspapiere, bei denen es um abgespeckte Lizenzen geht, die beispielsweise nur für Flüge in einem 50-Kilometer-Radius um den heimischen Flugplatz berechtigen, dafür aber auch entsprechend einfacher zu erwerben sind.

Der rechtliche Freiraum bietet den idealen Nährboden für Innovationen. Immer mehr internationale Hersteller präsentieren schnittige, aus modernen Verbundmaterialien hergestellte und mit Elektronik vollgestopfte Hightech-Maschinen. Viele ihrer Motoren können normalen Autosprit verdauen und sind nicht mehr auf das teure Avgas angewiesen – Flugbenzin, dessen schwindelerregende Preisentwicklung beim Literpreis von rund drei Euro nicht stehen zu bleiben scheint.

Neben den neuzeitlichen ULs wirken die E-Klasse-Modelle aus Metall mit einem Verbrauch von bis zu 40 Litern wie Relikte aus den fünfziger Jahren. "Seien wir ehrlich", meint ein frustrierter Piper-Pilot, "im Bereich unserer Klasse steht die Entwicklung seit Jahrzehnten still." Zudem müssen sich E-Klassen-Flugzeugführer für ihre Privatpilotenlizenz mit weitaus mehr Theorie herumplagen und mehr Unterrichtsflüge absolvieren als die UL-Kollegen. Deshalb wandern gerade junge Fluginteressenten zunehmend zur UL-Szene ab.

Dort finden sie neben zeitgemäßen Neu-Interpretationen der klassischen Tragflächen-Flugzeuge auch völlig andere Konzepte – zum Beispiel Tragschrauber, sogenannte Gyrokopter. Die Maschinen ähneln kleinen Hubschraubern, allerdings wird der Rotor nicht von einem Motor angetrieben, sondern vom Fahrtwind. Den Vortrieb erzeugt ein Propeller am Heck. Anders als Helikopter brauchen Tragschrauber zwar eine kurze Start- und Landebahn, sind aber dennoch so wendig, dass sie auch auf einem Aldi-Parkplatz aufsetzen könnten.

Das Funktionsprinzip des Gyrokopters wurde schon in den 1920er-Jahren erfunden. Kurze Zeit später flog die amerikanische Post mit dem Gyrokopter Briefe und Päckchen übers Land. Danach gerieten die Tragschrauber weitgehend in Vergessenheit. Nun aber erleben sie eine Renaissance als Flugsportgerät. Die Hildesheimer Firma AutoGyro verkauft jährlich bereits mehr als 300 Stück davon. Zu den Interessenten zählt auch das Innenministerium von Brandenburg, das Gyrokopter als Überwachungsplattform für die Polizei testet.

Die Tragschrauber von AutoGyro sind aus Faserverbundstoffen gefertigt, mit einer UL-Lizenz zu fliegen und sehen aus wie eine Mischung aus Helikopter und Zweierbob. Das Basismodell ist oben und an den Seiten offen, es gibt aber auch Versionen mit geschlossenem Cockpit. Anschaffung, Wartung und Betrieb sind so günstig, dass die Flugstunde für rund 120 Euro zu haben ist – bei einem richtigen Heli können es schon mal 1000 Euro werden. Gratis dazu gibt's, wie ein Fluggast schwärmte, "Adrenalin pur, wenn einem zum ersten Mal der Wind so richtig um die Ohren pfeift".

Ebenfalls im Freien sitzt der Pilot des "Sirocco nG", ein hundert Kilogramm leichter, zerlegbarer Einsitzer aus den Niederlanden. Ansonsten aber beweist der Sirocco, dass selbst die Ultra-Ultraleichtklasse sich nicht auf Drähte, Rohre und Stoffbespannungen beschränken muss: Die Maschine besteht aus faserverstärktem Kunststoff und sieht wie ein richtig erwachsenes Flugzeug aus – und das zu einem Preis von 20.000 Euro.

Auch in den USA, dem Heimatmarkt von Cessna und Piper, erwächst den Platzhirschen ernst zu nehmende Konkurrenz durch die neuen Light Sport Aircrafts (LSA). Mit einem Startgewicht von 600 Kilogramm sind LSA etwas schwerer als europäische Ultralights, unterliegen aber vergleichbar großzügigen Bestimmungen. Seit das Segment 2004 eingeführt wurde, hat eine ganze Reihe von Start-up-Unternehmen einige ungewöhnliche Konzepte entwickelt, zum Beispiel das zusammenklappbare Wasserflugzeug A5 von Icon Aircraft. Schon das Cockpit zeigt, dass Icon neue Wege gehen möchte – es ist durchgestylt wie das Armaturenbrett eines Autos. Dementsprechend wird die A5 beworben als schickes Lifestyle-Accessoire zum Inselhüpfen, das sich in der Garage gut neben der Harley und dem Motorboot macht. Doch auch Marktführer Cessna mischt in der LSA-Klasse mit: Bei seinem zweisitzigen "Skycatcher" handelt es sich um einen schmucken Schulterdecker mit Elektronik vom Feinsten, der aussieht wie eine geschrumpfte klassische Cessna.