Umkämpfter Raum

Krisenkarten haben sich bei Naturkatastrophen als Hilfsinstrument bewährt. Doch für die Kartographie politischer Aufstände sind sie noch zu unsicher und könnten sogar Menschenleben gefährden.

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Von
  • Erica Naone

Krisenkarten haben sich bei Naturkatastrophen als Hilfsinstrument bewährt. Doch für die Kartographie politischer Aufstände sind sie noch zu unsicher und könnten sogar Menschenleben gefährden.

Spätestens seit dem verheerenden Erdbeben in Haiti Anfang 2010 sind Krisenkarten aus dem Netz nicht mehr wegzudenken. Sie führen Informationen aus Krisengebieten zusammen und helfen, Unterstützung zu koordinieren – nicht nur nach der Tsunami-Katastrophe in Japan vor fünf Monaten, sondern zunehmend auch in Gebieten, die wie die arabische Welt politisch im Umbruch sind. Doch hier bekommt die Sache einen Haken: Repressive Regime könnten derartige Krisenkarten nutzen, um die Opposition zu schwächen, warnt George Chamales, der in Libyen, Pakistan und Sudan am Aufbau solcher Karten beteiligt war. Auf der Black-Hat-Konferenz in Las Vegas hat Chamales deshalb dazu aufgerufen, die Krisenkartographie sicherer zu machen und vor politischer Sabotage zu schützen.

Krisenkarten nutzen verbreitete Web-2.0-Technologien für humanitäre Zwecke. Nutzer können schnell und ohne Aufwand auch über Handys und Smartphones auf die Karten zugreifen und dort der Öffentlichkeit in Sekundenschnelle wertvolle Lageinformationen zur Verfügung stellen. „Naturkatastrophen schießen nicht zurück“, sagt Chamales. „Aber manche Krisenkarten werden in einem feindseligen Umfeld betrieben, und wenn etwas schief geht, können die Folgen enorm sein“, warnt er.

Zwar sind bislang noch keine Fälle dokumentiert, in den Online-Karten missbraucht oder gar das Ziel digitaler Angriffe waren. Doch das dürfte sich bald ändern, erwartet Chamales. Als für die Überschwemmungsopfer in Pakistan eine Krisenkarte eingerichtet wurde, drohten die Taliban zur selben Zeit ausländischen Hilfskräften Vergeltung für ihr Engagement an. „Und wir zeigten mit unserer riesigen Karte, wo genau sich diese Leute befanden“, erzählt Chamales.

Derartige Situationen lassen Helfer inzwischen vorsichtiger agieren. Als Aktivisten vor einigen Wochen eine Krisenkarte für Libyen aufsetzten, war die zunächst nur mit einem Kennwort zugänglich. Später stellten die Helfer eine zweite Karte für die Öffentlichkeit ins Netz, die aber nicht alle Informationen der geschützten Karte enthielt.

Während bei Online-Diensten Sicherheitsprobleme oft erst in der Anfangsphase durch die Nutzung selbst zutage treten, wären bei der Krisenkartographie solche Übergangszeiten gefährlich. Nicht nur, weil durch Sicherheitslücken die Identitäten von Helfern auffliegen könnten. Werden die Karten-Server durch einen Cyberangriff lahmgelegt, könnten auch die Menschen im Kriesengebiet selbst gefährdet sein, weil wichtige Informationen nicht mehr durchkommen. Chamales befürchtet, dass die großen Hilfsorganisationen von Krisenkarten ablassen könnten, sollte sich der Eindruck erhärten, sie seien nicht sicher.

Ein Grundproblem ist für ihn, dass die Karten oft unter extremem Zeitdruck aufgebaut werden. „Wir kennen die Leute nicht, die sie aufsetzen, aber üblicherweise wird jeder unterstützt, der gerade Kapazitäten frei hat“, sagt Chamales.

In der Kartographie-Szene ist man sich der Lage sehr wohl bewusst. „Wir hoffen, dass Chamales Unterstützung mobilisieren kann, um die Probleme anzupacken“, sagt Patrick Meier, Leiter für Krisenkartographie und neue Medien bei Ushahidi. Die Open-Source-Plattform ist der Vorreiter für Krisenkarten und wurde 2007 für Kenia entwickelt, um Informationen über die Unruhen zu sammeln, die nach der Präsidentschaftswahl ausgebrochen waren. „Die Plattform ist allerdings nicht für den Einsatz in politisch umkämpften Gebieten ausgelegt“, räumt Meier ein. „Wir informieren jede Gruppe, die eine Karte anlegen will, über die Sicherheitsprobleme, die dort bestehen könnten.“

Ushahidi hat hierfür bereits eine Liste mit Vorsichtsmaßnahmen für eine sichere Kommunikation von Helfern zusammengestellt. Dazu gehören der Einsatz des Tor-Systems, um Webseiten-Aufrufe zu anonymisieren, Tipps für sichere Kennwörter oder die Verschlüsselung von Instant-Messaging- Diensten. Seit einigen Monaten bemüht sich die Organisation um finanzielle Unterstützung, um einen Sicherheitsexperten ins Team holen zu können. Zugleich sammelt und veröffentlicht Ushahidi Sicherheitslücken, die geschlossen werden müssen.

„Die Krisenkartographie ist auch nur eine Art Medium, und Medien gehören zu den umkämpften Räumen in realen Konflikten“, sagt Ethan Zuckerman, Vorstandsmitglied von Ushahidi und Forscher am Berkman Center for Internet and Society an der Harvard University. So habe es zum Beispiel Probleme mit dem Twitter-Schlagwort „#Syria“ gegeben, weil Regime-Gegner und Regierungstreue in dem Kurznachrichtendienst gleichermaßen operierten.

Bereits kurz nach der Gründung von Ushahidi sei das Projekt „Swift River“ gestartet worden, betont Zuckerman. Swift River ist eine Software, mit deren Hilfe Aktivisten vertrauenswürdige Informationen für eine Krisenkarte von fragwürdigen unterscheiden sollen. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass gegnerische Kräfte versuchen werden, Krisenkarten zu manipulieren“, sagt Zuckerman. (nbo)