Die Seele von Apple

"iGod", "Der Zauberer von Apple", "Master of Design": Zum Rücktritt von Steve Jobs überbieten sich die Medien in Superlativen, um den scheidenden Apple-Chef zu beschreiben. Doch was macht die Faszination von Steve Jobs tatsächlich aus?

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Von
  • Christoph Dernbach

Der 24. August 2011 wird in die Technikgeschichte eingehen: Mit dem Rücktritt von Steve Jobs als CEO endet nicht nur bei Apple eine Ära, auch wenn derzeit noch unklar ist, wie und in welchem Umfang er in Zukunft als Aufsichtsratsvorsitzender Einfluss nehmen kann auf die Produktentwicklung und strategische Ausrichtung des Unternehmens.

Als IT-Korrespondent beobachte ich Steve Jobs regelmäßig seit seiner Rückkehr zu Apple im Jahr 1997. Ich kann mich noch genau daran erinnern, welchen Schock er in der verunsicherten Apple-Community auslöste, als er auf der MacWorld Expo im August 1997 in Boston seinen ewigen Widersacher Bill Gates auf einer riesigen Video-Wand zu Wort kommen ließ, um ein 150-Millionen-Dollar-Investment von Microsoft in Apple anzukündigen. Jobs ging es damals darum, sein von der Pleite bedrohtes Unternehmen zu retten. Gates wollte mit einem Griff in die Kaffeekasse die Wettbewerbsbehörden in den USA beruhigen, schließlich stand damals eine Aufspaltung von Microsoft zur Debatte.

Tim Cook, der neue CEO von Apple, und Steve Jobs, sein Vorgänger und Mentor

(Bild: dpa)

Ich habe Steve Jobs bei vielen Präsentationen auf Veranstaltungen wie den MacWorld Expos, den Keynote-Ansprachen zur Entwickler-Konferenz WWDC oder kurzfristig einberufenen Events zur Vorstellung neuer Produkte beobachtet. Er überzeugte dabei fast immer mit charismatischen Auftritten und begeisterte das Publikum, blieb aber letztlich stets unnahbar – zumindest für uns Journalisten aus Deutschland. Fragen zu seiner Person, zu seinen Motiven konnten nicht gestellt werden oder blieben unbeantwortet.

Um das Phänomen Steve Jobs zu verstehen, hat mir ein Gespräch mit Andy Hertzfeld sehr geholfen, der maßgeblich an der Entwicklung des ersten Apple Macintosh beteiligt war – und aktuell Schlagzeilen als einer der Designer von Google+ macht. Ich traf ihn auf der MacWorld Expo im Januar 2005 in San Francisco und fragte ihn zu Jobs' Einfluss auf seine Arbeit im Macintosh-Entwicklungsteam.

Andy Hertzfeld erzählte mir eine Anekdote, um mir die Rolle von Steve Jobs bei Apple deutlich zu machen. Bei der Entwicklung des Macs war Jobs besessen davon, den besten Computer der Welt zu bauen. Und dazu gehörte seiner Meinung nach auch, dass der Rechner möglichst schnell booten sollte. Der 68000-Mikroprozessor war zehnmal schneller als der Chip des Apple II. Doch wegen der schmalen RAM-Ausstattung war der Mac immer wieder darauf angewiesen, Daten von der Floppy Disk zu laden. Und das dauerte. Um den Entwickler Larry Kenyon anzuspornen, einen schnelleren Boot-Loader zu programmieren, wählte Steve Jobs nach der Erzählung von Andy Hertzfeld folgenden Vergleich: Er solle sich vorstellen, dass in fünf Jahren fünf Millionen Macs im Betrieb wären, die mindestens einmal am Tag gestartet werden. Wenn es gelänge, den Boot-Vorgang um zehn Sekunden zu verkürzen, summiere sich das auf 50 Millionen Sekunden am Tag. Er könne die Zeit von Dutzenden Menschenleben retten, wenn der Mac nur schneller hochfahre. Angetrieben von Jobs sei es Kenyon dann gelungen, den Bootvorgang um mehr als zehn Sekunden zu verkürzen.

Andy Hertzfeld, früher bei Apple, heute bei Google, kennt Steve Jobs gut

Es wird Leute geben, die diese Motivationsmethode von Steve Jobs als Menschenschinderei oder als das Auslegen eines Reality Distortion Fields interpretieren. Andy Hertzfeld hatte an seine Zeit bei Apple eine gute Erinnerung und sprach vom Charisma des Steve Jobs. Nachdem Jobs 1985 von dem damaligen Apple-Chef John Sculley und dem Apple-Verwaltungsrat aus dem Unternehmen gedrängt worden war, gab es für ihn keinen Grund mehr, bei Apple zu bleiben. "Er war das Herz und die Seele und der Motor. Apple hat damals seine Seele verloren."

Es gab beim Weggang von Steve Jobs 1985 natürlich auch andere Reaktionen: Larry Tessler, der Anfang der achtziger Jahre von Xerox zu Apple gekommen war, sprach in der sehenswerten TV-Dokumentation Triumph of the Nerds von gemischten Reaktionen in der Apple-Belegschaft: "Jeder war an irgendeinem Punkt von Steve Jobs terrorisiert worden. So waren manche erleichtert, dass der Terrorist gegangen war. Auf der anderen Seite gab es einen unglaublichen Respekt vor Steve Jobs bei denselben Leuten. Wir fürchteten alle, was mit der Firma ohne den Visionär, ohne den Gründer, ohne das Charisma passieren würde."

Zwölf Jahre später waren die meisten Apple-Beschäftigten heilfroh, das Steve Jobs wieder an Bord war. Die Trendwende bei Apple und der Erfolg der aktuellen Produkte haben sicherlich auch damit zu tun, dass Steve Jobs wie kaum ein anderer CEO in der Computer- und Unterhaltungselektronik-Industrie sich mit den Produkten seines Unternehmens im Detail auseinandergesetzt hat. Die Gespräche der Entwickler mit dem Chef werden vermutlich nicht immer besonders lustige Runden gewesen sein. Erst recht, wenn Steve Jobs im Nachhinein feststellte, dass ein Produkt wie MobileMe nicht seinen eigenen Ansprüchen genügte. Perfektionismus habe "auch einige ganz eklige negative Facetten", meinte PR-Experte Mirko Lange. Ich bin mir aber auch sicher, dass ein ehemals supererfolgreicher Konzern wie Nokia nicht so an Boden verloren hätte, wenn sich der ehemalige Nokia-Chef Olli-Pekka Kallasvuo so intensiv für seine Smartphones interessiert hätte wie Steve Jobs sich für das iPhone.

Jobs-Nachfolger Tim Cook ist jedenfalls in einer besseren Lage als der neue Nokia-CEO Stephen Elop. Während der ehemalige Microsoft-Manager Elop eine widerborstige Belegschaft von den Segnungen der Kooperation zwischen Nokia und seinem alten Arbeitgeber überzeugen und viele Nokia-Mitarbeiter entlassen muss, findet Cook vermutlich eine wohl gefüllte Produkt-Pipeline bei Apple vor, die noch von seinem Vorgänger bestückt wurde. Und für ihn ist Steve Jobs weiterhin erreichbar, zumindest solange es dem Apple-Mitbegründer gesundheitlich nicht noch viel schlechter geht. Nicht nur Tim Cook wünscht sich: "Alles Gute, Steve Jobs!" (se)