Wikileaks will gegen Tageszeitung "Guardian" vorgehen

Zwischen Wikileaks und Openleaks tobt der Streit, wer der schlimmere Leaker ist, der die Quellen unzureichend schützt. In die Schusslinie geriet auch die britische Tageszeitung The Guardian wegen der Passwortveröffentlichung zur Datei mit US-Depeschen.

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Von
  • Detlef Borchers

Wikileaks hat angekündigt, gegen die britische Zeitung Guardian juristisch vorzugehen und dabei auch das US-Außenministerium miteinzubeziehen. Dieses sei bereits am 25. August vor einem größeren Informationsleck gewarnt worden. Journalisten des Guardian hatten im Frühjahr das Buch "Wikileaks – Inside Julian Assange's War on Secrecy" veröffentlicht. In diesem Buch findet sich ein Passwort, mit dem ein Archiv aller US-Depeschen geöffnet werden kann, die Wikileaks unter dem Stichwort "Cablegate" veröffentlicht. Der Guardian hat unterdessen die Beschuldigungen durch Wikileaks als "Unsinn" zurückgewiesen. Man sei nicht dafür verantwortlich, dass eine Datei, die sofort vom Guardian-Server gelöscht worden sei, später via BitTorrent mit unverändertem Passwort verbreitet wurde.

Wie berichtet, tobt ein Streit zwischen Wikileaks und Openleaks, wer denn von beiden der schlimmere Leaker ist, der die Quellen unzureichend schützt. Für Openleaks ist es Wikileaks, weil dort die Aktivisten eine Archivdatei ins Internet geladen haben, die sämtliche unredigierten US-Depeschen enthält, die Wikileaks zugespielt wurden. Für Wikileaks ist es Openleaks, weil dort ausgewählten Medienpartnern erklärt wurde, wie man an diese unredigierten Depeschen kommt und wo das Passwort gespeichert ist. Für Außenstehende ist der Streit so skurril, weil ein in einem Buch abgedrucktes Passwort Dreh- und Angelpunkt der Debatte ist. Im Kapitel 11 des Guardian-Buches über Wikileaks beschreiben die Guardian-Journalisten David Leigh und Luke Harding ihre Zusammenarbeit mit Wikileaks bei der Veröffentlichung von US-Depeschen. Geschildert wird die Übergabe der Datei, deren Inhalte später etliche Verwicklungen produzierten: Assange speichert die Datei auf einem sicheren Server des Guardian und übergibt den Journalisten das unvollständige Passwort für diese Datei, mitsamt dem Hinweis, wie das Passwort komplettiert werden kann; die Journalisten entschlüsseln und entpacken die Datei, speichern sie offline und Löschen die Sendung auf dem Server. Im Buch schreiben sie vom Passwort-Procedere, nichtsahnend, dass Wikileaks-Aktivisten die Datei mit exakt diesem Passwort als BitTorrent speichern.

Völlig unklar ist die gesetzliche Grundlage, auf der Wikileaks sieben Monate nach Erscheinen des Buches gegen die Veröffentlichung vorgehen könnte. Nach der Auffassung des Guardian ist das Passwort eine bedeutungslose Phrase ohne die Datei, für deren Verbreitung man nicht verantwortlich sei.

In einem Bericht von Spiegel Online (der Spiegel arbeitete wie der Guardian und einige andere Zeitungen ebenfalls mit Wikileaks bei der Veröffentlichung der Depeschen zusammen) ist von einem Depeschen-Desaster in sechs Akten die Rede. Doch die Details deuten eher auf eine Farce in mehr als sechs Akten. So soll die besagte Datei vom Wikileaks-Gründer Assange vergessen worden sein. Nach Darstellung des Guardian soll sich Assange zwischenzeitlich um Schadensbegrenzung bemüht habe, als beginnend mit einer Veröffentlichung der Wochenzeitung Der Freitag klar wurde, dass die ganze Wahrheit über Datei und Passwort bald öffentlich bekannt sein wird. So soll Assange ein 75-minütiges Telefonat mit einem Rechtsberater im US-Außenministerium geführt haben, der ein Treffen mit Assange abgelehnt haben soll.

Nach Darstellung der New York Times hat Victoria Nuland, die Specherin des US-Außenministeriums, die Zirkulation des unredigierten Materials verurteilt. Die Zeitung berichtet davon, dass amerikanische Botschaftsmitarbeiter inzwischen mit Galgenhumor auf die Nachrichten reagieren. "Bitte zitier mich korrekt, damit es gut klingt, wenn es geleakt wird", sei zu einer Standard-Floskel geworden. Nach Recherchen der New York Times soll überdies kein Fall bekannt eworden sein, in dem ein Informant durch die Veröffentlichung der Botschaftsberichte in Lebensgefahr gekommen sei. Vereinzelt habe es Karriereabbrüche gegeben. Bis auf Weiteres gilt Helmut Metzner, der ehemalige Büroleiter des ehemaligen FDP-Chefs Guido Westerwelle, als das prominenteste Opfer der Depeschen-Veröffentlichungsaktion. Metzner, der Interna aus der Fraktion einem US-Diplomaten erzählte, arbeitet heute als Berater für Öffentlichkeitsarbeit.

Aktuell führt Wikileaks eine Art Abstimmung via Twitter durch, was mit den noch unveröffentlichten Depeschen geschehen soll. Mit #WLvoteNo soll twittern, wer gegen die Veröffentlichung ist, mit #WLvoteYes sollen sich die Befürworter melden. Aktuell führt No, doch gibt es bemerkenswert viele Stimmen, die das ganze Verfahren für fragwürdig halten. (jk)