Demo in Berlin: Aufruf zum Stopp der "Grundrechtsterroristen"

Etwa 250 besorgte Bürger gingen am Samstag in Berlin auf die Straße, um in Zeiten der Antiterrorbekämpfung ein Zeichen für den Erhalt der Grundrechte und gegen Rundum-Überwachung sowie Sicherheitswahn zu setzen.

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"Der Überwachungsstaat schadet mehr als er nützt", hieß es zum Auftakt der Demonstration in Berlin [Klicken für vergrößerte Ansicht]

Etwa 250 besorgte Bürger gingen am Samstagnachmittag in Berlin auf die Straße, um in Zeiten der Terrorbekämpfung ein Zeichen für den Erhalt der freiheitlichen Grundrechte und gegen die Rundum-Überwachung zu setzen. Die Demonstranten skandierten auf ihrem etwa fünf Kilometer langen Protestzug vom Alexanderplatz am Berliner Dom und am Bundesjustizministerium vorbei zurück zum Ausgangspunkt lautstark Rufe wie "Vorratsdatenspeicherung: sinnlos, teuer einfach dumm", "Die Welt bei uns zu Gast, fühl dich wie im Knast" oder "Freiheit stirbt mit Sicherheit". Dazu trugen sie Plakate mit dem Motto der Kundgebung "Freiheit statt Sicherheitswahn" oder der Aufschrift "Nieder mit der Datenkrake".

Beim Aufwärmen für die Veranstaltung auf dem Alex hatte Patrick Breyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung betont, dass in der Innenpolitik "jegliche Verhältnismäßigkeit" verloren gegangen sei. Laut Statistiken der Weltgesundheitsorganisation seien Straftaten angesichts der geringen Opferzahlen "so schädlich wie Karies oder Durchfall". Die trotzdem andauernd geführte Sicherheitsdebatte schade, da sie die Politiker vom Setzen richtiger Prioritäten abhalte. Eine anlassunabhängige Überwachung der gesamten Bevölkerung einschließlich Unverdächtiger, wie sie etwa die von Brüssel beschlossene Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten darstellt, sei nicht mit dem Prinzip des freiheitlichen Rechtsstaates vereinbar.

"Die Pressefreiheit ist in Gefahr, wo Informanten ständig überwacht werden", machte der Jurist die drohenden Auswirkungen verdachtsunabhängiger Überwachungsmaßnahmen deutlich. "Aber auch die persönliche Freiheit ist in Gefahr, wenn die Bevölkerung zu Unrecht kontrolliert wird", etwa Ausreiseverbote wegen Namensverwechslungen in Datenbanken ausgesprochen würden. Angesichts der überhand nehmenden "Handy-Fahndung" sowie des um sich greifenden Einsatzes von DNA-Proben zur Aufklärung und Prävention von Straftaten könne niemand mehr sagen, dass er nicht betroffen sei vom "Sicherheitswahn". Breyer schaute zugleich skeptisch in eine nahe Zukunft, in der in jeder Wohnung eine Überwachungskamera angebracht sei. Auch solche Aufzeichnungen könnten schließlich nützlich sein, um einen Terroranschlag zu verhindern.

"Der Überwachungsstaat schadet mehr als er nützt", lautete Breyers Resümee. "Grenzen für die Sicherheitsbehörden schützen die Gesellschaft selbst und Freiheit macht die Bürger sicherer". Als die wahren Gefahren für die Demokratie bezeichnete er Innenpolitiker, "die eine Kontrollgesellschaft aufbauen wollen". Derlei "Grundrechtsterroristen" würden etwa mit dem Beharren auf der ergebnislos verlaufenen Rasterfahndung gegen islamistische Schläfer "zentrale Errungenschaften der Aufklärung" in Form der Freiheitsrechte aufs Spiel stellen.

Eine anlassunabhängige Überwachung der gesamten Bevölkerung ist nicht mit dem freiheitlichen Rechtsstaat vereinbar, erklärten die Organisatoren der Demonstration [Klicken für vergrößerte Ansicht]

"Wir wollen einen Abbau der Überwachung" machte Breyer unter lautem Applaus klar. Die "Totalprotokollierung der Telekommunikation" müsse genauso gestoppt werden wie die "permanente Videoüberwachung jedermanns auf öffentlichen Plätzen", die Kriminalität nicht verhindere. Alle seit 1968 erlassenen Sicherheitsgesetze müssten auf den Prüfstand gestellt und von neutraler Seite auf ihren Nutzen untersucht werden. "Wir wenden uns gegen biometrische Daten in Ausweisen und Pässen", setzte Breyer die Vorstellung des Forderungskatalogs der von zahlreichen weiteren zivilgesellschaftlichen Gruppen unterstützten Demonstration fort. Die mit dem "E-Pass" begonnene Vermessung der Körpermerkmale der Bürger gehe zu weit. Weiter sprachen sich die Aktivisten gegen RFID-Funkchips aus, mit denen etwa bei der WM kontaktlos ausgelesen werden könne, wo sich ein Ticketinhaber gerade befinde. Auch der verdachtslosen Kontrolle von Kfz-Kennzeichen stehen sie ablehnend gegenüber.

Zu leicht mache es man sich zudem, die Hoffnung allein auf das Bundesverfassungsgericht zu setzen, rief Breyer zu mehr Engagement in Bürgerrechtsgesellschaften auf. Karlsruhe könne dem Treiben der Sicherheitsfanatiker "nur äußerste Grenzen setzen". Die Verfassungsrichter bräuchten zudem "Rückhalt in der Bevölkerung" und müssten sehen, dass sich die Bürger gegen eine Big-Brother-Gesellschaft wenden. "Das Volk hat vergessen, dass es große Macht hat", ergänzte Twister vom Forum Stop1984. Die Aktivistin erhob Einspruch gegen das "sinnlose Anhäufen" von und Schnüffeln in Datenbergen, bis man etwas gefunden habe, dass gegen einen Bürger verwendet werden könne. Nur weil es Terroristen gebe, dürfe nicht jeder auch als Terrorist behandelt werden. Gleichzeitig machte auch sie klar, dass "wir uns weiter organisieren" und im Interesse der Rettung der Privatsphäre zeigen müssen, "dass wir etwas zu verbergen haben". Im Lauf des Jahres seien bundesweit weitere Demonstrationen in Planung.

Werner Hülsmannn, Vorstandsmitglied des Forums InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF), rief die Abgeordneten insbesondere von CDU und SPD auf, "Rückgrat zu beweisen" und am Dienstag im Parlament für einen Gruppenantrag zur Nichtigkeitsklage gegen die Vorratsdatenspeicherung vor dem Europäischen Gerichtshof zu stimmen und so der Umsetzung der pauschalen Überwachungsmaßnahme zuvorzukommen. Die Große Koalition hat sich aber bereits für die Umsetzung der entsprechenden Brüsseler Richtlinie ausgesprochen. Mit Fragen wie "Wen haben Sie in den letzten dreißig Tagen angerufen" und "Wo waren sie am Dienstag vor vier Wochen" versuchten die Aktivisten, auch Passanten für den Datenhunger der Sicherheitsbehörden zu sensibilisieren. (Stefan Krempl) / (jk)