Kommentar: Bei der Vorratsdatenspeicherung gibt es nicht nur Schwarz und Weiß

In seinem Kommentar zum netzpolitischen Vorstoß der SPD hat Thomas Stadler die Pläne als Roadmap in die Vorratsdatenspeicherung bezeichnet. Netzaktivist Alvar Freude wirft seinem Kritiker eine verzerrende Darstellung vor: eine Replik.

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Von
  • Alvar Freude

Der netzpolitische Vorstoß der SPD zur Vorratsdatenspeicherung hat für Diskussionen gesorgt. In seinem Kommentar auf c't online bezeichnet Rechtsanwalt Thomas Stadler die Pläne als Dammbruch und spart nicht mit Kritik an den Autoren des SPD-Papiers. Netzaktivist Alvar Freude wirft seinem Kritiker eine verzerrende Darstellung vor: eine Replik.

In der vergangenen Woche ist eine breite Diskussion um zwei Anträge zum Thema Vorratsdatenspeicherung entbrannt, die im Umfeld der SPD entstanden sind. Es handelt sich um einen Antrag (PDF-Datei) der SPD-Bundestagsfraktion und ihrer Sachverständigen in der Internet-Enquête und einen sogenannten Musterantrag (PDF-Datei) des "Gesprächskreises Netzpolitik" für den SPD-Parteitag. Beide Anträge wenden sich weitgehend gegen eine Speicherung von Telekommunikationsdaten, wurden aber gegenteilig interpretiert.

Mal lauter und mal leiser wurde der Vorwurf geäußert, die Anträge würden eine präventive Totalüberwachung der gesamten Bevölkerung verlangen und den Weg in den Überwachungsstaat ebnen. Auch Rechtsanwalt Thomas Stadler zeichnet in seinem Kommentar dieses verzerrende Bild über den Musterantrag und den Stand der Diskussion innerhalb des SPD-Gesprächskreises.

Ich bin zwar kein Parteimitglied, habe aber als Externer an Teilen der Texte mitgearbeitet. Beide Anträge kann ich als Kompromiss akzeptieren, auch wenn ich einiges anders formulieren würde. Aber auch das gehört zur Demokratie: Die entstandenen Kompromisse werden von allen getragen. Als politische Anträge sind beide keine Gesetzestexte und daher auch weniger präzise. Sie geben nur eine Grundlinie vor: "Jegliche Art von Vorratsdatenspeicherung ist für die Sozialdemokratie ein erheblicher Eingriff in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger und darf daher, wenn überhaupt, nur in engen Grenzen erfolgen."

Jetzt kann man darüber streiten, ob "wenn überhaupt nur in engen Grenzen" eine ausreichende Distanzierung ist oder nicht, ich kann aber versichern: Insgesamt lehne ich, wie auch die Autoren der beiden Papiere, die Vorratsdatenspeicherung ab und war auch einer der Beschwerdeführer der erfolgreichen Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung. Ähnlich wie das Bundesverfassungsgericht mache ich eine Ausnahme bei den IP-Adressen – wünsche da aber eine deutlich strengere Regelung als das, was das Gericht erlaubt hat. Dazu später mehr.

Explizit – aber eben nicht abschließend aufgezählt, sondern lediglich beispielhaft erwähnt – schließt der Musterantrag etwa die Speicherung von E-Mail-Verbindungsdaten und Standortdaten grundsätzlich aus. Es soll also überhaupt nicht mehr gespeichert werden dürfen, wer wann wem E-Mails geschrieben oder sich wo mit seinem Mobiltelefon aufgehalten hat. Und auch wenn hier nicht alle möglichen Techniken (GSM, GPRS, UMTS, GPS, usw.) einzeln aufgeführt sind, sieht der Antrag dabei keine Ausnahme vor. Somit wird nicht nur eine Überarbeitung der Richtlinie der EU angestrebt, sondern auch eine Abkehr von der bisher immer noch herrschenden Praxis der Mobilfunkunternehmen, Ortungsdaten zu speichern und herauszugeben. Hier sind aber noch genauere Vorgaben für den Fall nötig, dass Provider die Daten für andere Zwecke (Abrechnung, Behebung von Störungen usw.) speichern. Denn bei den Providern werden auch weiterhin Logfiles anfallen, ein Zugriff der Ermittler darauf sollte eng begrenzt werden.

Wir dürfen nicht vergessen, dass die EU-Vorgaben eine umfassende Vorratsdatenspeicherung vorsehen. Daher werden in den beiden Anträgen auch explizit die Europaparlamentarier aufgefordert, sich für eine Überarbeitung stark zu machen. Und wer sich über eine EU-Regelung Gedanken macht, muss sich auch Gedanken über die anderen EU-Länder machen. Daher wäre die Reduzierung der maximalen Speicherfrist von 24 auf unter 6 Monate für manche Länder ein großer Erfolg. Dennoch: Für Deutschland sehen die Anträge eine maximale Speicherfrist von ca. 80 Tagen für IP-Adressen vor, die Dauer für etwaige andere Daten soll auf maximal 7 Tage begrenzt werden.

Wenn Thomas Stadler nun also interpretiert, dass der Vorschlag darauf hinauslaufe, "Verkehrsdaten in weitest möglichen rechtlichem Umfang auf Vorrat zu speichern", dass "Telekommunikations-Verbindungsdaten ohne Einschränkungen gespeichert werden sollen" und der Antrag sich "an dem orientiert, was das Verfassungsgericht (gerade noch) für zulässig hält" ist dies schlicht falsch. Der gesamte Tenor der Texte besagt das Gegenteil.

Zwar lehne ich persönlich eine Speicherung von Telefon-Verbindungsdaten (wer wann mit wem telefonierte) und E-Mail-Kommunikations-Daten (wer wann wem eine E-Mail geschrieben hat) ab, sehe aber durchaus, dass die Provider diese Daten zumindest wenige Tage für eigene Zwecke (z.B. Abrechnung, Störungsbekämpfung) speichern. Hier besteht derzeit keinerlei Hürde für die Ermittlungsbehörden, auf diese Daten zuzugreifen: ein Anruf beim Provider reicht. Ich halte eine Regelung für sinnvoll, die diese Zugriffe einschränkt, für eine revisionssichere Protokollierung sorgt, die Zugriffe unter Richtervorbehalt stellt und Informationspflichten für die Betroffenen einführt.

Nur bei IP-Adressen sehe ich es als sinnvoll an, zu einer Speicherzeit von etwa 80 Tagen wie vor der Einführung der Vorratsdatenspeicherung zurückzukehren. Die Behauptung, die Speicherung von IP-Adressen bei den Access-Providern wäre eine "präventive Totalüberwachung" oder die "Überwachung des Kommunikationsverhaltens der gesamten Bevölkerung" ist schlicht falsch. Dies sieht auch das Bundesverfassungsgericht so und schreibt in seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung:

"[Die Ermittlungsbehörden] erhalten lediglich personenbezogene Auskünfte über den Inhaber eines bestimmten Anschlusses[…]. Dabei bleibt die Aussagekraft dieser Daten eng begrenzt: Die Verwendung der vorsorglich gespeicherten Daten führt allein zu der Auskunft, welcher Anschlussinhaber unter einer bereits bekannten, etwa anderweitig ermittelten IP-Adresse im Internet angemeldet war. Eine solche Auskunft hat ihrer formalen Struktur nach eine gewisse Ähnlichkeit mit der Abfrage des Inhabers einer Telefonnummer. Ihr Erkenntniswert bleibt punktuell. Systematische Ausforschungen über einen längeren Zeitraum oder die Erstellung von Persönlichkeits- und Bewegungsprofilen lassen sich allein auf Grundlage solcher Auskünfte nicht verwirklichen."

Wie bei jedem Eingriff in Grundrechte ist auch hier eine Abwägung nötig: Die Tiefe des Eingriffs in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ist mit dem Nutzen der Speicherung abzuwägen. Das Bundesverfassungsgericht schreibt dazu:

"Angesichts der zunehmenden Bedeutung des Internet für die verschiedenartigsten Bereiche und Abläufe des alltäglichen Lebens erhöht sich auch die Gefahr seiner Nutzung für Straftaten und Rechtsverletzungen vielfältiger Art. […] Die Möglichkeit einer individuellen Zuordnung von Internetkontakten bei Rechtsverletzungen von einigem Gewicht bildet deshalb ein legitimes Anliegen des Gesetzgebers."

Das Bundesverfassungsgericht kommt insgesamt zu dem Schluss, dass die Eingriffe durch die Speicherung von IP-Adressen sehr gering sind und der Nutzen ausreichend ist, um die Speicherung zu rechtfertigen. Es verlangt auch keinen Richtervorbehalt. Die beiden Anträge aus dem SPD-Umfeld setzen insgesamt deutlich strengere Vorgaben: Richtervorbehalt, Auskunft nur aufgrund strafrechtlicher Verstöße, Speicherung nur 80 Tage statt sechs Monate – angelehnt an die Lage vor Einführung der Vorratsdatenspeicherung – und Kostenerstattung für die Provider. All das erhöht die Hürde, damit bei Bagatellfällen nicht auf die Daten zugegriffen wird.

Das Zusammenleben in einer demokratischen Gesellschaft verlangt andauernd differenzierte Betrachtungen. Dies gilt auch hier. Da bei der IP-Speicherung im Gegensatz zur Erfassung anderer Daten keine Internet-Nutzungs-Profile angefertigt werden können und der Nutzen in vielen Fällen unbestreitbar ist, halte ich eine zeitlich begrenzte Speicherung für vertretbar – und sogar geboten. Tatsächlich hilft, wie Thomas Stadler in seinem Kommentar geschrieben hat, die IP-Speicherung im Bereich der Schwerstkriminalität nur wenig. Aber sie ist im Bereich der Internet-Alltagskriminalität oftmals die einzige Möglichkeit, überhaupt den Täter zu ermitteln. Für die Opfer von Betrug, exzessiver Beleidigung oder permanentem Stalking ist es nicht unerheblich, ob die Täter gefasst werden. In einer demokratischen Gesellschaft muss man sich damit auseinandersetzen, dass es Kriminalität gibt und wie man damit umgeht. Als Ergebnis dieser Abwägung eine 80-tägige Speicherung zuzulassen, den Zugriff aber zu reglementieren halte ich für vertretbar.

Die Forderung auf jeglichen Verzicht der Speicherung von IP-Adressen ist genauso populistisch wie das ewige Gejammere der Konservativen über den angeblich rechtsfreien Raum Internet. Die Hoffnung, ohne IP-Speicherung die unsäglichen Filesharing-Abmahnungen und die Abmahn-Industrie (PDF-Datei) einzudämmen hat sich nicht bewahrheitet. Beim Filesharing lassen sich zudem in Echtzeit-Abfragen oder zumindest "Quick Freeze"-Anordnungen verschicken. Quick Freeze als generelles Gegenmodell ist aber auch kein taugliches Instrument: entweder es verlangt eine Mindestspeicherungspflicht oder die Daten sind beim Abruf (außer bei Echtzeitabfragen beim Filesharing) schon weg.

Nichtsdestotrotz: Die Mitglieder des Gesprächskreises Netzpolitik der SPD sind sich einig, dass der Antrag noch einmal überarbeitet und an einigen Stellen präzisiert werden soll. Dabei werden wir auch die zum Teil berechtigte Kritik an den nicht ausreichenden Formulierungen aufgreifen.

Im AK Zensur haben wir oft, intensiv und teilweise emotional darüber diskutiert, welchen Weg wir einschlagen sollen. Einfach nur "Keine Zensur!" rufen, oder konstruktiv Vorschläge machen? Im Ergebnis haben wir mit dem Motto "Löschen statt Sperren" eine Alternative vorgestellt. Ich bin davon überzeugt, dass wir alle zusammen – nicht nur der AK Zensur – bei der Diskussion um Internet-Sperren in Deutschland und der EU sowie beim JMStV nur deswegen erfolgreich waren, weil Alternativen auf dem Tisch lagen. Man kann aber auch auf Extrempositionen beharren und mit wehenden Fahnen untergehen.

Alvar Freude ist freiberuflicher Softwareentwickler, Mitglied der Enquête-Kommission Internet und digitale Gesellschaft des Deutschen Bundestages und wie Thomas Stadler Mitglied des AK Zensur. Er betreibt das ODEM.blog und ist auf Twitter unter @alvar_f sowie auf Google+ zu finden. (vbr)