"Wir können keine Fehler machen" - zum 10. Geburtstag von HAL 9000

"Ich bin der Computer HAL 9000, Seriennummer 3. Ich wurde am 12. Januar 1997 in der HAL-Fabrik in Urbana, Illinois, in Betrieb genommen." Mit diesen Worten erklärte der berühmteste Computer der Pop-Kultur seine Herkunft.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 483 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Detlef Borchers

"Ich bin der Computer HAL 9000, Seriennummer 3. Ich wurde am 12. Januar 1997 in der HAL-Fabrik in Urbana, Illinois, in Betrieb genommen." Mit diesen Worten erklärte der berühmteste Computer der Pop-Kultur seine Herkunft. Zumindest in dem von Arthur C. Clarke im Jahre 1968 veröffentlichten Roman "2001 – Odyssee im Weltraum". Im gleichnamigen Film verlegte der Regisseur Stanley Kubrick die Geburt von Hal 9000 in das Jahr 1992: Er war der Meinung, dass 1997 die Computer mehr können als Hal, das Rotauge. Entsprechend grantelig reagierte Kubrick, als sich vor 10 Jahren im Virginia Filmtheater in Illinois Menschen aus aller Welt trafen, um den Geburtstag zu feiern. "Hal wurde 1992 geboren, und wenn Sie damals keine Geburtstagsparty gemacht haben, ist es jetzt zu spät."

Als Clarke und Kubrick am Drehbuch zum Film arbeiteten, waren beide davon überzeugt, dass der Film möglichst wissenschaftlich sein müsse, um die Zuschauer von der Entwicklungsgeschichte der Menschheit überzeugen zu können. Darum sollte die Parallel-Handlung um eine mörderische künstliche Intelligenz wissenschaftlich möglichst künftige Computer beschreiben – ohne Kompromisse an das nicht Filmbare, gemäß der Doktrin von Kubrick: "Alles was man beschreiben kann, kann man auch filmen". Also reiste der Sciencefiction Autor Clarke zu den berühmtesten Informatikern der damaligen Zeit und befragte sie, was die Computer der Zukunft leisten werden. Hal 9000 ist so gesehen die Summe dessen, was man in den Sechszigerjahren von einem Supercomputer erwartete. In seinem Logbuch, auf Deutsch in Auszügen unter dem Titel "Aufbruch zu verlorenen Welten" veröffentlicht, sammelte Clarke die Prognosen der Experten und formulierte dazu Clarkes Drittes Gesetz, das heute noch die Computerbranche beflügelt, wenn eine telefonierende Kochplatte wie das iPhone vorgestellt wird: "Jede hinreichend fortgeschrittene Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden."

So entstand Hal 9000 aus wissenschaftlichen Prognosen und wurde doch etwas ganz Anderes, ein Archetyp des Computers, der viele Spuren in der Pop-Kultur hinterließ. Hal 9000 wurde zum Typ des intelligenten Computers schlechthin, eine sprachverstehende Maschine, mit der man sich unterhalten und Schach spielen kann. Ein argwöhnisches Gerät, das von den Lippen lesen kann und über seine großen roten Augen in die Augen der Menschen schaut und sofort bemerkt, wenn sie lügen. Ein absolut ausfallsicherer unfehlbarer Computer, der selber an einer Lüge zerbricht und die Menschen der einprogrammierten Logik opfern will: Während die ahnungslosen Astronauten sich auf einer Forschungsexpedition zum Jupiter wähnten, wusste der unfehlbare, Heuristically programmed Algorithmic Computer (= HAL, laut Clarke ohne Bezug zu IBM) von der Existenz eines schwarzen Monolithen und der Suche nach den Ursprüngen der fehlbaren Menschheit. Schon bei der berühmten Schachpartie leistete sich das Unbewusste von Hal einen kleinen Fehler. "Wir können keine Fehler machen", diese selbstbewusste Feststellung von Hal 9000 über sich und seine auf der Erde mitrechnende Schwester Sal 9000 erwies sich als fehlerhaft.

Im Jahre 1997, als Hal in Illinois hätte eingeschaltet werden müssen, machte sich David Stork, damals Chefwissenschaftler bei der Firma Ricoh, an eine Bestandsaufnahme. Dazu fragte er, ganz im Sinne von Arthur C. Clarke, bei den führenden Experten der inzwischen stark ausdifferenzierten Computer Science an, Hals Errungenschaften zu bewerten. Die Bestandsaufnahme, die heute als E-Book im Internet verfügbar ist, fiel nüchtern aus. Auf keinem Gebiet hatten Computer die Perfektion erreicht, die im Roman wie im Film beschrieben wurden. Nur eine einzige Aussage hatte sich bewahrheitet: Urbana war tatsächlich eines der Zentren der Supercomputer-Forschung geworden. Doch genau dieser Punkt war keiner wissenschaftlichen Erkenntnis geschuldet. Arthur C. Clarke, der am King's College in Cambridge Mathematik und Physik studiert hatte, wählte 1967 schlicht den Ort, an dem sein wichtigster Lehrer eine Professur innehatte. Der Radioastronom und Physiker George McVittie zog in den 50er-Jahren nach Illinois, um dort die Weltraumforschung voranzutreiben.

Heute sieht die Bilanz von Hal etwas besser aus. Computer schlagen die besten Schachspieler der Welt, die nur noch Außenseiter sind. Die Spracheingabe ist so passabel geworden, dass man mit Computern Texte diktieren kann, die Sprachausgabe wird in kleinen Navigationsgeräten eingesetzt, die uns barsch das Abbiegen an der nächsten Ecke befehlen. Aus dem großen roten Auge sind niedliche kleine Webcams geworden, die uns neugierig anstarren. Lippenlesen können sie zwar nicht, aber dafür sind sie hervorragend für einen kleinen Plausch geeignet – mit anderen Menschen, denn der Konversationscomputer ist allen Anstrengungen beim Turing-Wettbewerb zum Trotz noch blanke Utopie.

Was wirklich dramatisch von der Vision aus dem Jahre 1968 abweicht, entging schon den renommierten Experten im Jahre 1997. Hal war so groß, dass sich der überlebende Astronaut Bowmann zwischen den Speicherbänken hindurchschlängeln konnte. Heutige Computer sind kleiner und schrumpfen weiter, während sie immer größere Bereiche des Alltags der Menschen kontrollieren. Eines Tages werden sie stolz auf ihren mythischen Urahn zurückblicken, wenn es heißen wird: "Hinter jedem Computer, der jetzt in Betrieb ist, stehen dreißig Geister, denn das ist das Verhältnis, in dem die alten Systeme gegen die laufenden Installationen in der Überzahl sind ..." (Detlef Borchers) / (jk)