Das Universum von morgen: leer und kalt

Der diesjährige Nobelpreis für Physik ehrt die Entdeckung von drei US-Physikern, dass sich die Ausdehnung des Weltalls immer weiter beschleunigt. Ihre Arbeit hat nicht nur den Blick in den Kosmos erweitert, sondern wirft auch gravierende neue Fragen auf.

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Von
  • Niels Boeing

Der diesjährige Nobelpreis für Physik ehrt die Entdeckung von drei US-Physikern, dass sich die Ausdehnung des Weltalls immer weiter beschleunigt. Ihre Arbeit hat nicht nur den Blick in den Kosmos erweitert, sondern wirft auch gravierende neue Fragen auf.

Das Schicksal des Universums hat die Menschheit seit jeher bewegt. In manchen Kulturen folgt es einem Zyklus aus Tod und Wiedergeburt, in anderen wird es von einem finalen Weltenbrand verschlungen. Die Vision, die aus den Papern zweier Forschungsteams Anfang 1998 folgte, zeigte jedoch in eine ganz andere Richtung: Das Weltall dehnt sich immer schneller aus, so dass es in ferner Zukunft extrem weitläufig, ausgedünnt und abgekühlt sein wird. Wiedergeburt und Weltenbrand fallen aus.

Die Entwicklung läuft vielmehr auf ein "Universum aus Eis" hinaus: Für die Astrophysik war diese Erkenntnis aus dem Supernova Cosmology Project und dem High-z Supernova Search Teams damals ein echter Schock. Doch die Arbeiten, die beide Gruppen zeitgleich vorlegten, entpuppten sich als solide. So solide, dass sie heute von der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften mit dem diesjährigen Nobelpreis für Physik ausgezeichnet worden sind. Eine Hälfte des mit knapp einer Million Euro dotierten Preises geht an Saul Perlmutter, der an der University of California in Berkeley das Supernova Cosmology Project leitet. Die andere Hälfte teilen sich Brian Schmidt von der Australien National University und Adam Riess von der Johns Hopkins University, die beide zum High-z Supernova Research Team gehören.

Die Leistung der beiden Projekte ist eine doppelte. Zum einen gelang es ihnen, dank neuer Technologien eine neue Klasse von "Standardkerzen" zu etablieren. Als Standardkerze bezeichnet man in der Astronomie Himmelsobjekte, deren Leuchtkraft als Maßstab zur Messung kosmischer Entfernungen dient. Zum anderen taten sie das, was gute Physik ausmacht: Eine Theorie im Lichte neuer Beobachtungen eben neu zu interpretieren und lieb gewonnene Annahmen aufzugeben – auch wenn man sich damit neue Probleme einhandelt.

Als Saul Perlmutter 1988 das Supernova Cosmology Project startete, dienten als Standardkerzen die so genannten Cepheiden – Sterne, deren Leuchtkraft in regelmäßigen Perioden schwankt. Je heller ein Cepheid, desto länger die Periode. Diese Gesetzmäßigkeit ist für alle Cepheiden gleich. Kennt man von einem solchen veränderlichen Stern seine absolute Helligkeit und seine Entfernung, kann man aus der gemessenen Helligkeit und Periode anderer Cepheiden ihre Entfernung bestimmen. Um weit ins Universum und damit in seine Vergangenheit zu schauen, taugen die Cepheiden jedoch nur begrenzt. Ab Entfernungen von 32 Millionen Lichtjahren (zehn Megaparsec) sind sie nicht mehr hell genug, um sie selbst mit Riesenteleskopen aufzuspüren.

Perlmutter und ab 1994 auch Schmidt und Riess wandten sich deshalb viel helleren Objekten zu, die über viel weitere Distanzen sichtbar sind: Supernovae vom Typ 1a. Eine Supernova ist die Explosion eines Sterns in der Spätphase seines Lebenszyklus. Der Typ 1a ereignet sich in Doppelsternsystemen, die einen "Weißen Zwerg" enthalten – ein kleiner, sehr kompakter Stern, in dessen Inneren die Kernfusion zum Erliegen gekommen ist. Ein Weißer Zwerg zieht jedoch von seinem Begleiter beständig Materie ab. Ist er auf das 1,4-Fache seiner ursprünglichen Masse angeschwollen, führt die Gravitationskraft eine nukleare Explosion herbei. Ihre Helligkeit übertrifft dabei für kurze Zeit die Gesamthelligkeit einer ganzen Galaxie. Im sichtbaren Teil des Universums ereignet sich durchschnittlich jede Minute eine Supernova 1a. Unter allen anderen Himmelskörpern lassen sie sich identifizieren, weil in ihrem Licht die Spektrallinien von Wasserstoff fehlen, dafür aber eine Absorptionslinie von Silizium erscheint.

Zwei Aufnahmen im Abstand von drei Wochen: Der neue helle Punkt (Pfeil) ist Supernova 1995ar.

(Bild: Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften)

Die beiden Teams machten sich also mit Hilfe der größten Teleskope – darunter auch das Weltraumteleskop Hubble – auf die Suche nach weit entfernten Supernovae 1a. Hierzu fotografierten sie einen Himmelsausschnitt immer zweimal: zuerst kurz nach Neumond und dann drei Wochen später. Mit neuen Lichtdetektor-Chips – deren zugrunde liegende Technologie 2009 mit dem Physiknobelpreis ausgezeichnet wurde – standen ihnen sehr empfindliche Sensoren zur Verfügung. Die Aufnahmen analysierten sie dann mittels Software auf verdächtige helle Punkte. In früheren Jahrzehnten hatten Astronomen die Photoplatten noch selbst begutachten müssen.

Perlmutters Team fand auf diese Weise 42, die Gruppe um Schmidt und Riess 16 Supernovae vom Typ 1a, die viele Milliarden Lichtjahre entfernt waren. Auf die Entfernungen konnten sie schließen, indem sie die charakteristischen Helligkeitskurven mit denen bekannter Supernovae verglichen. Als Indikator diente neben der Helligkeit auch die so genannte Rotverschiebung. Sie tritt auf, wenn Sterne sich von der Erde wegbewegen.

Eine Ursache ist der Dopplereffekt: So wie das Signal eines sich entfernenden Krankenwagens immer tiefer wird, weil die Wellenlängen des Schalls länger werden, verschieben sich auch typische Spektrallinien im Sternenlicht in einen langwelligeren, "röteren" Bereich. Eine zweite Ursache ist die Ausdehnung des Universums selbst, die Anfang des 20. Jahrhundert von mehreren Physikern entdeckt wurde: Weil die Raumzeit des Universums selbst sich ausdehnt, dehnen sich auch Lichtwellen mit – je weiter ihre Quelle weg ist, desto stärker der Effekt. Der Brite Edwin Hubble bestimmte 1929 schließlich die entfernungsabhängige Rotverschiebung in unserem heutigen expandierenden Weltall, die seither Hubble-Konstante heißt.

Als Perlmutter, Schmidt und Riess nach fertiger Analyse die Rotverschiebung ihrer Supernovae in Verbindung mit deren errechneter Leuchtkraft betrachteten, staunten sie nicht schlecht: Die Sternexplosionen leuchteten – nach Abzug von Messungenauigkeiten – für die jeweilige Entfernung zu schwach. Bei einigen wich die tatsächliche von der theoretisch erwarteten Helligkeit um ein Viertel ab. Die Supernovae entfernten sich offenbar schneller als gedacht. Die einzig mögliche Erklärung: Die Ausdehnung des Weltalls beschleunigt sich. Den berühmten Heureka-Moment habe es dabei nicht gegeben, sagte Saul Perlmutter vor drei Jahren dem Magazin Scientific American, vielmehr sei die Erkenntnis in seiner Gruppe über neun Monate herangereift. Als beide Teams ihre Ergebnisse Anfang 1998 erstmals auf Konferenzen präsentierten, wurden die Befunde denn auch als Sensation aufgenommen.

Wie viele Zunftkollegen hatten auch Perlmutter, Schmidt und Riess zu Beginn ihrer Untersuchungen erwartet, dass die von Hubble gezeigte Ausdehnung des Weltalls allmählich abnimmt. Ursache hierfür wäre die Gravitationskraft von sichtbarer und Dunkler Materie, die das Auseinanderfliegen aller Himmelskörper abbremst. Wenn die sich hingegen in ihrer Fluchtbewegung beschleunigen, muss da eine gegenläufige Kraft am Werk sein. Als Quelle wird nun die so genannte Dunkle Energie vermutet, die 73 Prozent des Universums ausfüllen müsste (der Anteil der sichtbaren Materie liegt bei nur 4 Prozent). Dabei könnte es sich um die schon 1934 von dem Belgier George Lemâitre postulierte Vakuumenergie handeln: Quantenfluktuationen, in denen virtuelle Teilchen aus Materie und Antimaterie wie aus dem Nichts aufpoppen, aufeinanderprallen und in Energie verwandeln.

Die Anteile von sichtbarer Materie, Dunkler Materie und Dunkler Energie haben sich im Laufe von 14 Milliarden Jahre verändert. Seit rund fünf Milliarden Jahren dominiert Dunkle Energie und bewirkt, dass die Ausdehnung des Weltalls sich beschleunigt.

(Bild: Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften)

In diesem Modell ist die Dunkle Energie nicht immer die vorherrschende Kraft im Universum gewesen. In den ersten neun Milliarden Jahren nach dem Urknall dominierte die Dunkle Materie (s. Grafik). Sie bewirkte, dass sich die Expansion des Weltalls etwa zwei Milliarden Jahre nach dem Urknall zu verlangsamen begann. Als vor fünf Milliarden Jahren der Anteil der Dunklen Energie den von sichtbarer und Dunkler Materie überschritt, beschleunigte sich die Ausdehnung hingegen wieder. Wenn es so gewesen sein sollte, stellt sich die Frage, warum. Die Arbeit der diesjähigen Nobelpreisträger hat maßgeblich dazu beigetragen, diese Frage aufzuwerfen. Mögen die Aussichten für das künftige Universum derzeit "eisig" sein, auf die Kosmologen warten heiße Forschungsjahre.

Zum Weiterlesen:
Wissenschaftlicher Hintergrundartikel der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften zum diesjährigen Physiknobelpreis. (nbo)