Gutachter rät zu komplettem Neustart beim Anti-Piraterie-Abkommen ACTA

Das Anti-Piraterie-Abkommen sei eine extrem schlechte und einseitige Vereinbarung, erklärte Douwe Korff, Rechtswissenschaftler an der London Metropolitan University, bei der Vorstellung einer neuen ACTA-Studie. Es müsse eingestampft werden.

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Douwe Korff, Experte für Internationales Recht an der London Metropolitan University, hat bei der Vorstellung einer Studie zu ACTA (PDF-Datei) kein gutes Haar an dem umstrittenen Anti-Piraterie-Abkommen gelassen. Es handle sich um eine extrem schlechte Vereinbarung, kritisierte der Niederländer am Dienstag in Brüssel. Schon beim weitgehend geheim gehaltenen Verhandlungsprozess sei einiges falsch gelaufen, da nur die Seite der Rechteinhaber konsultiert worden sei. Herausgekommen sei dementsprechend ein vollständig unausgewogenes Dokument, das den Verwertern geistigen Eigentums enorm starke Durchsetzungsrechte an die Hand gebe und Grund- sowie Freiheitsrechte im Prinzip missachte. Für die Verhandlungspartner hatte der Rechtsprofessor nur den Tipp parat: "Fangen Sie von vorne an." Dabei müssten zunächst alle Interessensgruppen befragt werden.

Nachbesserungen am vorhandenen Vertragstext, wie sie jüngst ein Institut der Universität Maastricht zusammen mit anderen Sachverständigen empfahl, reichen Korff nicht aus. Das von ihm gemeinsam mit Ian Brown vom Oxford Internet Institute erstellte Gutachten, das die Fraktion der Grünen im EU-Parlament in Auftrag gegeben hat, belege, dass ACTA in seiner jetzigen Form mit fundamentalen Rechtsbestimmungen der EU nicht vereinbar sei. So fehlten Klauseln zur fairen Nutzung genauso wie Ausnahmen vom exklusiven Verwertungs- und Verfolgungsanspruch für geringfügige Fälle von Urheberrechtsverletzungen. Diese müssten etwa für Whistleblower zur Korruptionsbekämpfung oder im Interesse der Meinungsfreiheit gelten.

Bei zivilrechtlichen Verfolgungen sichere das Abkommen Beschuldigten kein Recht auf ein ordentliches Gerichtsverfahren zu, monierte Korff weiter. Die Ausführungen zu Systemen fürs digitale Rechtekontrollmanagement (DRM) legten nahe, dass die Entwickler entsprechender Software "alle erdenklichen Beschränkungen den Nutzern auferlegen könnten". Dies verstoße gegen Vertrags- und Verbraucherschutzrecht. Besorgniserregend im digitalen Umfeld sei zudem, dass Durchsetzungsaufgaben verstärkt auf private Akteure wie Internetprovider verlagert würden. Diese müssten auf Zuruf der Rechteinhaber Webseiten blockieren oder Inhalte aus dem Netz nehmen. Die Unterhaltungsindustrie dürfe aber nicht bestimmen können, was die Öffentlichkeit zu sehen bekommt.

Nicht zuletzt enthält ACTA dem Gutachter zufolge eine Reihe schwerwiegender datenschutzrechtlicher Probleme. So werde es Zugangsanbietern gestattet, den Netzverkehr in großem Stil zu überwachen und daraus erwachsene Informationen an die Rechteinhaber weiterzugeben. Den Betroffenen stünde dagegen kein ordentliches Rechtsmittel zur Verfügung. Im Einklang mit dem EU-Datenschutzbeauftragten Peter Hustinx fordern die Forscher, dass keine Massenüberwachung ohne konkrete Verdachtsmomente erlaubt werden dürfe und ordentliche Rechtsmittel zur Erwiderung vorzusehen seien.

Korff beklagte ferner, dass Passagen zur abgestuften Erwiderung auf Copyright-Verstöße mit Warnhinweisen und Internetsperren gemäß dem "Three Strikes"-Prinzip und zur Haftungsausweitung von Providern nur scheinbar gestrichen worden seien. Lese man den Text genau, ermutige dieser zu solchen Maßnahmen zumindest außerhalb der EU. Schon zuvor hatten zahlreiche renommierte Wissenschaftler der Aussage der EU-Kommission widersprochen, dass der Vertrag nicht gegen den Rechtsbestand der Gemeinschaft verstoße.

Vertreter der Regierungen Australiens, Japans, Kanadas, Koreas, Marokkos, Neuseelands, Singapurs und der USA haben das Abkommen am Wochenende in Tokio unterzeichnet. Andere Länder und Staatenbündnisse wie die EU, Mexiko und die Schweiz, die der Zeremonie beiwohnten, setzen ihre Unterschriften dagegen noch nicht darunter. Insgesamt gehören 38 Nationen zu den Verhandlungspartnern. Korff geht davon aus, dass die Vereinbarung zumindest auch in den USA und Japan mit verfassungsmäßig verbrieften Grundrechten wie dem auf Informationsfreiheit nicht in Einklang zu bringen sein dürfte.

Der innenpolitische Sprecher der Grünen im EU-Parlament, Jan Philipp Albrecht, sieht mit der Analyse die Bedenken seiner Fraktion gegen ACTA untermauert. Die Ermutigung zur Kooperation zwischen Internetanbietern und der Inhalte-Industrie bezeichnete der Politiker als großen Schritt hin zu privatisierten Polizeiarbeit. Er appellierte an seine Kollegen, bei der im Dezember geplanten Abstimmung ihr Veto gegen das Abkommen einzulegen oder es wenigstens zuvor dem Europäischen Gerichtshof zur abschließenden Überprüfung vorzulegen. Die Grünen bereiteten derzeit einen entsprechenden Antrag vor. (jk)