Italienische Wikipedia streikt

Um gegen ein von der Regierung Berlusconi geplantes Gesetz zu protestieren, haben Wikipedia-Autoren die Online-Enzyklopädie aus Protest bis auf Weiteres gesperrt.

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Von
  • Torsten Kleinz

Statt den von Freiwilligen geschriebenen Artikeln bekommen Leser der italienischen Wikipedia nur noch eine Stellungnahme zu lesen, in der die Autoren davor warnen, ein neues Gesetz zu verabschieden, das derzeit im italienischen Parlament debattiert wird. "Es besteht die Gefahr, dass die italienischsprachige Wikipedia nicht mehr den nützlichen Service, den der Leser bisher erwarten konnte, erbringen kann", heißt es in dem Statement.

Logo der Protestgruppe auf Facebook

Insbesondere eine geplante Pflicht für Webseitenbetreiber, innerhalb von 48 Stunden missliebige Informationen ohne Richtervorbehalt entfernen zu müssen, stößt auf Empörung. Die Wikipedianer sehen ihr Freiwilligenprojekt gefährdet. Ob die Wikipedia wirklich von dem neuen Gesetz betroffen wäre, ist aber unklar, da die US-Stiftung als Betreiber nicht den italienischen Gesetzen unterliegt. Trotzdem befürchten Wikipedia-Administratoren Repressalien. So laufe derzeit eine Klage gegen Wikimedia Italien, obwohl die Länderorganisation formal keine Rolle beim Betrieb der Online-Enzyklopädie spielt. Auch gegen Wikimedia Deutschland wurde mehrfach geklagt.

Die Abstimmung zur Total-Blockade wurde in weniger als einem Tag durchgezogen, weniger als 50 Wikipedianer stimmten dem Antrag zu, bevor Administratoren die Online-Enzyklopädie schlossen. Die Wikimedia Foundation, die die Server der Wikipedia von den USA aus betreibt, wurde nicht in die Entscheidung eingebunden. Wie lange die Protestaktion dauern wird, ist noch unklar. Bei einer Facebook-Gruppe haben sich mittlerweile über 150.000 Unterstützer angemeldet.

Die US-Stiftung unterstützt den Protest der Italiener: "Dieses Gesetz würde die Arbeit von Projekten wie Wikipedia behindern", erklärt Wikimedia-Sprecher Jay Walsh auf Anfrage von heise online. Zudem sei die Möglichkeit, im Internet seine Meinung zu sagen und an einer demokratischen Debatte teilzunehmen, durch das geplante Gesetz gefährdet. Auf der Mailingliste der Wikimedia Foundation gab es jedoch auch kritische Stimmen, die die Aktion als übertrieben bezeichnen. Wikimedia-Geschäftsführerin Sue Gardner stellte sich jedoch relativ schnell hinter die Initiatoren des Protests und bezeichnete das Zustandekommen als "guten Community-Prozess".

Diese Bewertung ist für die Wikimedia Foundation selbst nicht unproblematisch – stehen ihr doch selbst derzeit mehrere solcher Community-Proteste ins Haus. So hat die deutsche Community in einem Meinungsbild der Einführung der von der Wikimedia Foundation beschlossenen Filter gegen kontroverse Bilder klar widersprochen. Auch in anderen europäischen Wikipedia-Communities regt sich Widerstand. Wie Wikimedia diesen Konflikt auflösen will, soll in den kommenden Tagen geklärt werden.

[Update: Auch die deutschsprachige Wikipedia unterstützt den Streik der italienischen Kollegen. Eine Solidaritätserklärung fand bisher 164 Unterzeichner.] (anw)