Die Woche: Ungenutztes Stromsparpotenzial

Neue Linux-Kernel und darauf aufbauende Distributionen nutzen einige Stromspartechniken moderner PCs nicht, weil die auf manchen Systemen Probleme auslösen. Die Distributoren ignorieren derartige Schwierigkeiten, dabei wären sie in der besten Position, um solche Probleme aus der Welt zu schaffen.

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Von
  • Thorsten Leemhuis

BIOS-Bugs, die unnötig hohen Stromverbrauch nach sich ziehen, sorgten im Frühjahr und Sommer für viel Gesprächsstoff. Ähnliche Probleme beschert das frisch erschienene Ubuntu 11.10 einigen Nutzern, denn der dort eingesetzte Linux-Kernel 3.0 nutzt die Stromspartechnik "RC6" bei Sandy-Bridge-Prozessoren nicht mehr, die der Grafikkern der Anfang des Jahres eingeführten und schon weit verbreiteten Intel-CPUs beherrscht. Durch sie laufen Systeme teilweise deutlich sparsamer.

Bei einem der in c't 20/11 auf Linux-Kompatibilität getesteten Sandy-Bridge-Notebooks stieg die am Netzteil gemessene Leerlauf-Leistungsaufnahme bei deaktiviertem RC6 beispielsweise von zirka 15 auf 21,5 Watt. Dieser rund 40 Prozent höhere Verbrauch verkürzt die Akku-Laufzeit spürbar und sorgt für häufiger und lauter drehende Lüfter. Andere Notebooks zeigten ähnliche Unterschiede bei der Leistungsaufnahme. Alle Geräte, bei denen die c't mit RC6 experimentierte, liefen auch nach Aktivieren der Stromspartechnik stabil. Das gilt auch für einen zufällig getesteten Desktop-PC mit Sandy-Bridge-Pentium, bei dem die Leistungsaufnahme durch Aktivieren von RC6 von zirka 35 auf 30 Watt sank.

Die 2.6.38er-Kernel von Ubuntu 11.04 und Fedora 15 haben RC6 auf Sandy-Bridge-Prozessoren noch automatisch genutzt. Linux 3.0 und 3.1 machen das nicht mehr. Das ist Folge eines Problemberichts, der allerdings aufgrund des Einbruchs bei Kernel.org derzeit nicht abrufbar ist. So mancher Notebook-Nutzer dürfte daher eine kürzere Akku-Laufzeit nach dem Update von Ubuntu 11.04 auf 11.10 bemerken, wenn er die Technik nicht durch Übergeben des Parameters i915.i915_enable_rc6=1 im Boot-Loader einschaltet. Anwender von Fedora 15 betrifft dieses Problem schon seit Wochen, sofern sie die als reguläres Update ausgelieferte Kernel-Version 2.6.40 eingespielt haben, bei der es sich um einen getarnten Kernel 3.0 handelt.

Schuld am höheren Energieverbrauch durch Nichtnutzung von RC6 sind gleich mehrere Parteien.

Eine Teilverantwortung trifft Intels Treiber-Entwickler, denn der Code der Grafiktreiber hatte anfangs einige Fehler, die hier und da zu Problemen mit RC6 geführt haben. Denen haben die Entwickler allerdings nachgestellt und viele von ihnen in den letzten Monaten beseitigt. Sowohl bei Linux 3.0 (1, 2) als auch bei 3.1 (1, 2) hatten die Entwickler daraufhin versucht, die Technik wieder standardmäßig zu aktivieren; da der Anwender, der bereits zuvor über Probleme geklagt hatte, abermals von Schwierigkeiten berichtete (1, 2, 3), wurde die Änderung beide Male zurück genommen.

Grund dafür ist die von Linus Torvalds immer wieder betonte und durchgedrückte Arbeitsweise: Für neue Kernel-Versionen aufgenommene Änderungen sollen keine Probleme auslösen, die frühere Kernel-Versionen nicht zeigten. Wenn solche "Regressions" rechtzeitig bemerkt werden, dann nehmen die Kernel-Entwickler die Änderung nach Möglichkeit zurück. Torvalds ist dabei recht strikt, was schon viele Anwender vor Problemen bewahrt und manchen Kernel-Entwicklern ungewollte Extraarbeit bereitet hat. Die Situation ist im Fall von RC6 allerdings nicht so einfach: Das standardmäßige Deaktivieren der Stromspartechnik mag vielleicht den oder die Anwender glücklich gemacht haben, bei denen die Technik Probleme bereitet; viele Anwender, auf deren Hardware RC6 bei 2.6.38 noch korrekt arbeitete, dürften den höheren Stromverbrauch von 3.0 und 3.1 als Fehler beziehungsweise Regression einstufen.

Ein Abwägen der Nachteile ist für die Kernel-Entwickler aber auch nicht einfach, denn es ist unklar, wie viele Systeme mit dem aktuellen Kernel Probleme zeigen würden, wenn RC6 standardmäßig eingeschaltet wäre. Es ist auch nicht auszuschließen, dass spezifische Hardware-Defekte zu den Problemen führten, welche die Nutzer berichtet haben, was die Kernel-Entwickler zum Deaktivieren der Technik gebracht hat. Möglicherweise sind es auch BIOS- oder Hardware-Designfehler bei den Systemen, die Probleme zeigen.

Die Kernel- und Treiber-Entwickler haben sich aber immerhin mit der Problematik auseinandergesetzt; sie haben Übergangslösungen programmiert und arbeiten auf Lösungen hin, um alle Anwender zufrieden zu stellen. Die Linux-Distributoren scheint die Problematik allerdings nicht sonderlich zu kümmern, obwohl sie aufgrund von Artikeln in verschiedenen Online-Medien und Berichten in den Fehlerdatenbanken durchaus wissen könnten, dass hier eine Menge Stromsparpotenzial ungenutzt bleibt.

Dabei wäre es für Distributoren ein leichtes, eine kleine Anwendung zu entwickeln und einzubauen, die prüft, ob das System RC6 unterstützt; wenn das der Fall ist, könnte sie dem Anwender über ein Pop-Up-Fenster oder eine ähnliche Funktion anbieten, einen Menüeintrag im Boot-Manager anzulegen, um RC6 testweise zu nutzen. Klappt über mehrere Tage alles einwandfrei, dann könnte dieses Werkzeug die Einstellung zum Standard machen. Wenn das Tool dann auch noch an den Distributor zurückmelden würde, ob RC6 funktioniert oder nicht, dann könnten die Entwickler von Kernel, Treibern und Distributionen diese Informationen auswerten und nutzen, um Lösungen zu finden, die die Problemursache aus der Welt schaffen.

Das würde zwar Mitarbeit von Anwendern erfordern, aber hilfsbereite Nutzer sollten in der Linux-Community nicht sonderlich schwer zu finden sein. Außerdem ist RC6 längst nicht die einzige Stromspartechnik, die Distributionen nicht standardmäßig aktivieren, um Anwendern vor Problemen zu schützen – so bleiben beispielsweise auch die Stromsparfunktionen von Audio-Codecs bei vielen Linux-Distributionen ungenutzt, weil sie auf manchen Notebooks zu Knackgeräuschen führen sollen, wenn die Chips einschlafen oder aufwachen; auch die ASPM-Problematik besteht weiterhin. Ein distributionsübergreifendes Tool wie das eben beschriebene Programm könnte dabei helfen, Ursachen zu finden und zu beseitigen; mit ihm ließen sich auch schwarze Listen mit problematischen Geräten anlegen, damit wenigstens die anderen Systeme möglichst stromsparend laufen. (thl)