Plädoyers für Top Level Domain .berlin im Berliner Abgeordnetenhaus [Update]

Bei einer Anhörung im Berliner Parlament sprachen sich Experten für die Einrichtung einer regionalen Top Level Domain .berlin aus, doch der Senat und die rot-rote Koalition haben Bedenken insbesondere wegen dem Portal berlin.de.

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Bei einer Anhörung (PDF-Datei) im Medienausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses haben sich Experten am heutigen Mittwoch für die Einrichtung einer regionalen Top Level Domain (TLD) .berlin ausgesprochen. Die Erweiterung des Namensraums im Internet sei ein klarer Auftrag der Netzverwaltung Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN), erklärte Annette Mühlberg, Leiterin des Referats Neue Medien beim Bundesvorstand der Dienstleistungsgesellschaft ver.di und europäische Vertreterin des Gremiums zur Einbeziehung der Nutzerinteressen bei der Netzverwaltung. Berlin sollte sich daher schnellstmöglich in diesen Prozess einbringen, da die nächste Phase zur Einführung neuer TLDs Anfang 2008 starte. Der Senat und Abgeordnete der rot-roten Berliner Regierungskoalition brachten dagegen Bedenken rund um .berlin vor, die sich etwa auf das Zusammenspiel mit dem Stadtportal berlin.de bezogen.

Mühlberg sprach von einer Verengung des Namensraums im .de-Bereich. Die Unterdomains dort würden immer umständlicher und hätten keinen Widererkennungseffekt mehr, beklagte sie. Es sei daher für die Nutzer wichtig, dass der Namensraum etwa um .berlin erweitert werde. Der Preis für eine Netzadresse sollte dabei möglichst niedrig sowie die Verständlichkeit der TLD im internationalen Bereich genauso gegeben sein wie eine saubere Trennung zwischen öffentlich und privat. Diese werde bei berlin.de nicht praktiziert, sodass mit .berlin klarere Funktionen festzuschreiben wären. Zugleich könne mit der neuen TLD eine bessere Erreichbarkeit öffentlicher Einrichtungen im Netz realisiert werden: Dass Surfern derzeit unter senat-berlin.de unter anderem die Auswanderung nach Amerika empfohlen werde, treffe die Interessen der Bürger nicht. Unter einer regionalen TLD könnten sich dagegen die Wirtschaft, Nutzer und Regierung eingängiger präsentieren. Dabei sei auch vorgesehen, der Stadt mit der kostenlosen Reservierung von Namen mit öffentlicher Bedeutung ein "dauerhaftes Geschenk zu machen".

Der ehemalige ICANN-Direktor Andy Müller-Maguhn lobte ebenfalls die Möglichkeit, unter einer regionalen TLD von vornherein wettbewerbsverzerrende Faktoren und die Vermischung von öffentlichen und privaten Interessen wie bei berlin.de auszuschließen. In speziellen Registrierungsrichtlinien könnten Markenrechtsinhaber in Berlin gegenüber nicht-regionalen bevorzugt werden. Um offizielle Regierungseinrichtungen zu kennzeichnen, wäre die Einführung einer Second Level Domain .gov.berlin denkbar. Generell ermunterte der Sprecher des Chaos Computer Clubs (CCC) die Abgeordneten, in den Prozess der regionalen Ausweitung des Domain Name System (DNS) hineinzugehen.

Man brauche neue TLDs zwar nicht unbedingt, meinte Stefan Welzel, Chefsyndikus der für die Länderdomain .de zuständigen Registrierungsstelle DeNIC. Da es aber ohne Zweifel weitere geben werde, würde er .berlin als Ergänzung zu .de begrüßen. Es wäre dabei sinnvoll, wenn die regionale TLD von einer nicht auf Gewinn ausgerichteten Organisation verwaltet würde. Das DeNIC selbst ist als eine nicht profitorientierte Genossenschaft organisiert.

Dirk Krischenowski, Gründer und Geschäftsführer der Firma dotBerlin, die sich seit gut zwei Jahren als Betreibergesellschaft für .berlin ins Spiel bringt, sprach von dem Trend, "dass sich in der globalen Entwicklung des Internet zunehmend lokale Gegengewichte bilden". Es könnte daher ein "Standortnachteil sein", wenn andere Metropolen wie Paris oder New York mit .paris beziehungsweise .nyc schneller wären und "dieses Kapitel in der Internetgeschichte schreiben" würden. Krischenowski verwies ferner auf Unterstützung aus der Wirtschaft von der IHK über Tourismusvereinigungen bis zum Verband der deutschen Internetwirtschaft eco. Auch der Bundestag und die Bundesregierung hätten bereits Zustimmung signalisiert, es fehle nur noch ein positives Signal der Landespolitik.

Bedenken, dass die Nutzer durch die neue Domainvielfalt verwirrt würden, wies der dotBerlin-Befürworter zurück. Die Surfer würden gemäß einer eigens in Auftrag gegebenen Studie auch nicht davon ausgehen, dass das Land Berlin selbst Betreiber von .berlin sei. Die Interessen der öffentlichen Hand, von bestehenden Berliner Einrichtungen und von Bürgern könnten dank der vorgesehenen Registrierungsrichtlinien zudem genauso speziell berücksichtigt werden wie die Interessen von 30 bis 40 weiteren Gebietsbürgerschaften mit dem Namen Berlin auf der ganzen Welt. Jeder könne sich als Gesellschafter für 100 Euro bei dotBerlin beteiligen und an möglichen Überschüssen partizipieren. Zuvor müssten aber die Bewerbungskosten bei der ICANN von über einer Million US-Dollar berücksichtigt werden, die teilweise von Berliner Konzernen mitgetragen würden. Gattungsbegriffe wie hotel.berlin oder kino.berlin könnten gesondert ausgeschrieben werden, um geeignete Betreiber zu finden.

An diesem Punkt hakte Senatssprecher Michael Donnermeyer ein: "Bei der Vergabe würden wir in einem Gremium über gewerbliche marktorientierte Bereiche mitentscheiden und wären in allen Konflikten mit drin in einer Zeit, wo sich der Staat aus solchen Prozessen heraushalten sollte." Da sei ihm die Entscheidung in der Public Private Partnership zum Betrieb von berlin.de lieber, wonach "das Vermarktungsrecht allein der Berliner Verlag hat". Nur wenn es etwa "um die Grenzen des guten Geschmacks geht", schreite der Senat ein. Insgesamt erschien es Donnermeyer nicht sinnvoll, eine Konkurrenz zur eigenen Marke hinter dem bestehenden Stadtportal aufzubauen. Den möglichen Imagegewinn durch die Pioniertätigkeit im Namensraum müsse man relativieren, da dieser ein "einmaliger Effekt" sei und viele anderen Städte mit international unterschiedlichen Namen sicher nicht "mitmachen" würden. "Die Namensrechte liegen bei uns, und das ist auch gut so", verschloss sich Donnermeyer einer Kooperation mit dotBerlin.

Als inakzeptabel bezeichnete eine solche Blockadehaltung Christoph Lattemann, Professor für E-Commerce an der Universität Potsdam: "Konkurrenz belebt das Geschäft", da könne man nicht auf eine "Besitzstandswahrung" pochen. Die Bedeutung der Außenwirkung von .berlin hielt er aber für überzogen. In Berlin gebe es zudem nicht mehr als etwa 500.000 registrierte Subdomains, die unter .de eingetragen seien und in einer .berlin-Adresse eine Marketingmaßnahme sehen könnten. Geschäftliche Risiken für dotBerlin seien nicht zu unterschätzen. Im Suchprozess würde eine regionale TLD die Nutzer kaum unterstützen, da diese meist nicht gezielt Webadressen eintippen, sondern über Suchmaschinen gehen würden. (Stefan Krempl) / (jk)