Erfolgreich simulierte Anteilnahme
US-Forscher haben eine virtuelle Krankenschwester entwickelt, die bei Patienten erstaunlich gut ankommt. Eine Lösung für den Pflegenotstand in Gesundheitssystemen?
- Emily Singer
US-Forscher haben eine virtuelle Krankenschwester entwickelt, die bei Patienten erstaunlich gut ankommt. Eine Lösung für den Pflegenotstand in Gesundheitssystemen?
Im hektischen Alltag heutiger Krankenhäuser hat die Pflege keinen leichten Stand: Patienten fühlen sich immer wieder abgefertigt, das Pflegepersonal ist mitunter überarbeitet und angespannt. Forscher der Northeastern University in Chicago haben deshalb eine virtuelle Krankenschwester entwickelt, die dem entgegenwirken soll. Zwar ist „Elizabeth“ noch nicht annähernd so elaboriert wie das medizinische Hologram Mark I aus der TV-Serie „Star Trek: Voyager“. Doch bereits nach der ersten Studie gaben Patienten an, dass sie Elizabeth menschlichem Krankenhauspersonal vorziehen. Mehr noch: Wer von dem Programm betreut wurde, ging nach der Entlassung eher zu Folgeuntersuchungen und wusste besser über seine Krankheit Bescheid als „normal“ behandelte Patienten.
„Uns geht es nicht nur um einen Informationsaustausch, wir versuchen auch, einen sozialen Austausch hinzubekommen“, sagt der Informatiker Timothy Bickmore, der die Entwicklung von Elizabeth geleitet hat. „Das Programm nimmt an den Patienten Anteil, wenn sie Probleme haben, und die Patienten scheinen darauf anzuspringen.“
Auf die Idee kam Bickmore, als er zum ersten Mal beobachtete, wie Menschen auf einfache interaktive Animationen reagierten. „Ich war erstaunt, dass sie davon geradezu gebannt waren, der Effekt aber sofort verflog, wenn die Animationen etwas Dämliches taten“, erzählt Bickmore, erzählt Bickmore, der bei der "Affective Computing"-Pionierin Rosalind Picard seine Doktorarbeit über die Beziehung zwischen Menschen und Computern geschrieben hat. Er begann der Frage nachzugehen, wie derartige Animationen gestaltet sein müssten, um die Aufmerksamkeit auch über einen längeren Zeitraum zu fesseln und sie für praktische Zwecke jenseits der reinen Unterhaltung einzusetzen. Gerade Menschen, die kaum Erfahrung mit Rechnern haben, würden die virtuelle Krankenschwester herkömmlichen textbasierten Programmen vorziehen, so Bickmore.
„Viele Leute sind erst einmal entsetzt, wenn sie hören, dass sie von einem Computer betreut werden sollen“, sagt Joseph Kvedar, Arzt und Direktor des Center for Connected Health bei Partners Healthcare, einem Non-Profit- Krankenhausbetreiber in Boston. „Deshalb freuen wir uns umso mehr zu hören, dass sich Patienten, die das Programm getestet haben, nicht betrogen fühlen.“
Für die Entwicklung des Pflege-Avatars zeichneten die Forscher zunächst auf, wie Pflegepersonal und Patienten miteinander umgehen. Sie versuchten dann, die nonverbale Kommunikation von Krankenschwestern über Gesten und Gesichtsausdrücke des Avatars zu simulieren. Elizabeth wurde auch die Fähigkeit zum Small Talk einprogrammiert, etwa Fragen nach dem Wetter oder dem Lieblings-Sportteam.
Noch sind die Kommunikationsfähigkeiten von Elizabeth bescheiden. Als virtuelle Pflegerin oder Physiotherapeutin verfügt sie über ein begrenztes Repertoire an Fragen, und die Patienten können die Antwort aus einigen vorgegebenen Möglichkeiten auswählen. Für alle, was darüber hinaus geht, verweist Elizabeth an „echtes“ Pflegepersonal.
Doch schon diese simplen Kniffe beeinflussen das Verhalten der Patienten im Umgang mit Elizabeth. So gaben die Versuchspersonen genauere Informationen über ihr Befinden als in nüchternen Fragebögen. „Das Programm wurde von Anfang so ausgelegt, dass es Wärme und Fürsorge vermittelt, auch wenn die Animation gar nicht besonders realistisch wirkt“, sagt Steven Simon, bei VA Boston Healthcare Systems für Innere Medizin zuständig. Der jetzige Avatar sei nur ein Anfang.
In einer Zeit, in der Gesundheitssysteme unter steigenden Kosten leiden, dürfte die Technologie künftig an Bedeutung gewinnen. „Wir haben schon jetzt nicht genug Pflegedienste, und die Situation wird noch schlimmer“, sagt Kvedar. 60 Prozent der Pflegekosten entfielen heute auf Personal. Selbst wenn man mehr Pflegekräfte ausbilden würde, wäre dies angesichts der Kosten keine ideale Lösung.
Kvedar und Bickmore haben in einer zweiten Versuchsreihe auch eine virtuelle Pflegerin namens „Karen“ für den Einsatz mit übergewichtigen Patienten getestet, die zuhause betreut werden. Karen gab ihnen über einen Zeitraum von zwölf Wochen dreimal wöchentlich Ratschläge oder hörte sich deren Beschwerden an. Am Ende zeigten sich die Patienten beweglicher, die mit Karen kommuniziert hatten, während andere, die ihre Bewegung mit einem Messgerät aufgezeichnet hatten, nicht aktiver geworden waren.
„Ältere Menschen scheinen besonders darauf anzusprechen“, sagt Bickmore. „Sie hätten am liebsten noch länger mit dem Programm geredet, als wir ihnen erlaubt haben.“ Weil einige mehr über ihre virtuelle Trainerin erfahren wollten, beschloss Bickmores Team, dem Avatar eine eigene Geschichte zu schreiben. Erzählte das Programm von sich in der ersten Person, riefen es die Probanden häufiger auf, als wenn die fiktiven Erlebnisse in der dritten Person geschildert wurden.
„Je menschlicher das Programm erschien, desto häufiger kam es zu Gesprächen, und die Patienten fühlten sich nach eigenem Bekunden auch nicht hinters Licht geführt“, erzählt Bickmore. Dabei sei ihnen immer klar gewesen, dass sie es nicht mit einem Wesen aus Fleisch und Blut zu tun hatten, wie die Forscher in einer Befragung herausfanden. Dennoch hätten sie geradezu ein schlechtes Gewissen bekundet, wenn sie sich längere Zeit nicht in das System eingeloggt hatten. „Da ist eine Art emotionale Bindung entstanden“, fügt Bickmore hinzu.
Der Effekt, den sich die Wissenschaftler hier zu Nutze machen, ist bereits seit längerem bekannt: Menschen sind darauf trainiert, die Äußerungen anderer Wesen - seien sie nun natürlich oder künstlich - so zu interpretieren, als ob sie es mit anderen Menschen zu tun hätten. Maschinen werden so "anthromorphisiert" – ihnen werden menschliche Eigenschaften zugeschrieben, auch wenn sie erkennbar nicht intelligent sind: „Unsere Darwin’schen Knöpfe gedrückt“, nett die MIT-Forscherin Sherry Turkle das, die seit 30 Jahren vor allem die Beziehung zwischen Kindern und Computern untersucht. „Augenkontakt suchen, jemanden mit Blicken verfolgen, sich seinen Namen merken oder die Person wiedererkennen – das sind klare Anzeichen für Menschen, dass da ,jemand‘ ist“. Simuliert man solche Verhaltensweisen in digitalen Geschöpfen, würden in den Nutzern automatisch starke anthropomorphe Reaktionen ausgelöst.
Wie sich die Beziehung zwischen Mensch und Maschine gezielt aufbauen und steuern lässt, ist allerdings eine offen Forschungsfrage. So reagierten beispielsweise längst nicht alle Testpersonen positiv auf den Karen-Avatar. Deshalb wollen die Forscher in einer nächsten Version ihre Software dazu lernen lassen, damit er sich auf die Vorlieben seiner Nutzer einstellt. Die nächste Version der virtuellen Krankenschwester wird derzeit für den dauerhaften Einsatz in Krankenzimmern weiterentwickelt. Patienten können „ihr“ dann erzählen, wie sie ihren Aufenthalt erleben, ob sie akute Schmerzen haben oder Fragen stellen. Sensoren sollen dem System außerdem mitteilen, ob der Patient gerade schläft oder ob ein Arzt den Raum betritt. In einer Pilotstudie führten die Probanden im Schnitt 17 Gespräche pro Tag mit dem Avatar. „Er scheint gerade gegen die Einsamkeit zu helfen, die viele Menschen im Krankenhaus empfinden“, sagt Bickmore.
Bickmores Gruppe hat die virtuelle Krankenschwester in einem Video vorgestellt. (nbo)