Wächst im digitalen Zeitalter die Vergesslichkeit?

In Korea wird aufgrund der steigenden Abhängigkeit von digitalen Geräten als ausgelagertem Gedächtnis von "digitalem Alzheimer" gesprochen.

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Von
  • Florian Rötzer

Korea ist ein Land, das ganz auf digitale Technik setzt. Dort hat man angeblich an jüngeren Menschen zwischen 20 und 30 Jahren beobachtet, dass sie zunehmend an Vergesslichkeit wegen der Informationsflut leiden, mit der sie am Arbeitsplatz und in der Freizeit konfrontiert sind. Um die Flut zu bewältigen, tritt das Erinnern zurück; das Gedächtnis wird an die Geräte delegiert, von denen man schließlich immer abhängiger werde: Man muss sich nicht mehr erinnern, wenn man nur noch suchen muss. Angeblich würden bereits manche Südkoreaner ärztliche Behandlung suchen, wenn die Symptome der Vergesslichkeit stärker werden, die Mediziner die "digitale Alzheimer-Krankheit" oder "digitale Demenz" nennen.

Mediziner wie Prof. Yeon Byeong-kil vom Hallym Medical Center sehen neben den exzessiven Informationsmengen, die auf die Menschen einströmen, weitere Faktoren wie Stress oder Angst, die Vergesslichkeit fördern: "Menschen mit Depressionen neigen zum Vergessen, weil sie gegenüber der Umwelt gleichgültig werden und sich ihr Denken verlangsamt." Prof. Lee Dong-young vom Seoul National University Hospital meint, dass Patienten, die unter Vergesslichkeit leiden, meist als normal diagnostiziert würden, weil sie sich bei Tests besser konzentrieren: "Aber in den meisten Fällen wird digitaler Alzheimer von einem Mangel an Aufmerksamkeit aufgrund der vielen Informationsquellen verursacht." Und Prof. Yoon Se-chang vom Samsung Medical Center sieht ebenfalls einen Zusammenhang zwischen Erinnerungsschwund und technischen Gedächtnissystemen: "Da sich die Menschen mehr auf die Informationssuche als auf das Erinnern verlassen, entwickelt sich die Gehirnfunktion des Suchens, während sich die Gedächtniskapazität vermindert. Eine starke Abhängigkeit von digitalen Geräten vermindert die Fähigkeit, sich zu erinnern."

Im Hintergrund der Debatte in Südkorea über "digitalen Alzheimer" – der allerdings keine Krankheit bezeichnet, sondern ein Symptom gesellschaftlicher Veränderungen – steht eine Umfrage, die von der Job-Website Incruit in Auftrag gegeben wurde. Befragt wurden über 2.000 Büroangestellte, von denen 63 Prozent sagten, dass sie unter Vergesslichkeit litten. Ein Sechstel davon gab als Grund ihre wachsende Abhängigkeit von Handys, PCs und anderen digitalen Geräten an.

Siehe dazu auch in Telepolis:

(fr)