Meinungsfreiheit in Tunesien kein Thema für den Informationsgipfel

Bei der Vorbereitung zum zweiten Weltgipfel der Informationsgesellschaft waren Informationen über die Situation im WSIS-Gastgeberland unerwünscht.

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Von
  • Monika Ermert

Bei der Vorbereitung zum zweiten Weltgipfel der Informationsgesellschaft (WSIS) waren Informationen über die Situation der Meinungs- und Medienfreiheit im Gastgeberland Tunesien unerwünscht. Ebenso wurden Informationen über verhaftete Blogger, staatliche Webfilter und Gesetze, die tunesische Internet Service Provider für Inhalte verantwortlich machen, nicht gern gesehen. Der 60-Seiten-Bericht des Dachverbandes International Freedom of Expression Exchange (IFEX) mit dem Titel "Tunesia -- Freedom of Expression under Siege" durfte nicht vor dem Tagungssaal im Genfer Palais der Vereinten Nationen ausgelegt werden.

Der Bericht enthält neben Informationen zu nach dem 11. September 2001 nochmals rigoros verschärften Gesetzen zur Äußerungs- und Versammlungsfreiheit Details zur Filterung per Smartfilter3 und Informationen über die zahlreichen verhafteten Blogger und Journalisten. Er ist das Ergebnis von Gesprächen der IFEX Tunesia Monitoring Group mit verschiedenen Dissidenten, Verbänden und Regierungsvertretern in Tunesien im Januar. Vertreter von IFEX, in dem 64 Bürgerrechts- und Presseorganisationen zusammengeschlossen sind, forderten inzwischen in einer Erklärung zu einer offenen Debatte über die Meinungsfreiheit im WSIS-Gastgeberland auf.

Charles Geiger, Direktor des WSIS-Sekretariats, sagte gegenüber heise online: "Sicher kann man unsere Entscheidung als Rücksichtnahme gegenüber Tunesien auffassen. Aber der Bericht beschäftigt sich mit der Meinungsfreiheit in Tunesien und nicht mit der Weltinformationsgesellschaft, und dies ist kein Gipfel über Tunesien." Es sei den IFEX-Vertretern freigestellt, den Bericht individuell jedem der knapp 900 Regierungsdelegierten zu überreichen. Man verfolge die gleiche Politik im Blick auf die Reaktion der tunesischen Regierungsdelegation auf den Bericht. Doch dem widerspricht die IFEX-Gruppe: "Am Tag der Veröffentlichung des Berichts", so die Pressemitteilung, "wurde eine Stellungnahme der tunesischen Agentur für Öffentlichkeitsarbeit beim UN-Treffen verbreitet."

Der Umgang mit den Bürgerrechtsgruppen könnte die Boykottüberlegungen der am Gipfelprozess teilnehmenden Bürgerrechtsorganisationen noch anheizen. Auf dem Portal der deutschen Zivilgesellschaft berichtet der Vertreter der deutschen zivilgesellschaftlichen Gruppen Ralf Bendrath, dass manche Organisationen erneut über ein alternatives Abschlussdokument nachdenken, da die Mitarbeit an den beiden politischen Abschlussdokumenten der Regierungen "eine Verschwendung von Zeit und Energie" sei.

In den vergangenen zwei Wochen einigten sich die Regierungsdelegationen hinsichtlich der Finanzfragen auf einen Minimalkonsens. Anerkannt wurde immerhin die Empfehlung für einen verstärkten Ausbau regionaler Backbones und Exchanges. Bei potenziellen Schuldenerlassmechanismen sollten, so der Text zu operativen Maßnahmen (PDF), ICT-Projekte besonderes Gewicht bekommen. Konkreter aber wird das Dokument nicht. Die Gründung des Digitalen Solidaritätsfonds, dem sich inzwischen 120 Städte vor allem in Frankreich, der Schweiz und verschiedenen afrikanischen Ländern angeschlossen haben, wurde etwas lapidar als innovative neue Finanzierungsmethode "begrüßt".

Reizthemen im politischen Dokument (PDF) -- wie etwa Brasiliens Vorschlag, die Möglichkeiten von Open-Source-Software nochmals gesondert zu würdigen -- wurden erst einmal ausgelassen. Die 1700 Delegierten dürfen sich zu solchen Fragen und im Streit um die globale Netzverwaltung noch auf einige Diskussionen bei der letzten Vorbereitungskonferenz im September einstellen.

Damit man dem Titel der "Gipfel der Erfolgsgeschichten" gerecht wird, hat der frischgebackene Chef der Eidgenössischen Kommunikationskommission, Mark Furrer, vorgeschlagen, doch in einem eigenen Dokument tatsächliche Situation und Erfolge zu den jeweiligen Aktionspunkten zusammenzufassen. Da es dabei nicht um ein politisches Dokument gehe, sei die Verabschiedung durch die Staatsoberhäupter sicher leichter, so Furrer optimistisch. Mehr Grund zum Optimismus gibt es anscheinend dort, wo die Behinderten-Initiativen sich weltweit vernetzen und auf ihre Anforderungen an die Informationstechnologie pochen.

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(Monika Ermert) / (anw)