WM 2006: Datenoperette oder Kampfplatz?

Bei der Fußball-WM soll die Datei "Gewalttäter Sport" der Schutzschirm sein, der mit dem datenbankgestützten RFID-Ticketing Stadionverbote und Meldeauflagen durchsetzen soll. Ob sich Fan-Gruppen damit kontrollieren lassen, ist umstritten.

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Von
  • Detlef Borchers

Die Vorbereitungen zur Fußball-Weltmeisterschaft laufen auf Hochtouren. Während Bundesinnenminister Otto Schily in Berlin die neue blaue Alltagsdienstbekleidung der Bundespolizei vorstellte, die rund um die WM-Stadien ein gefälliges Bild vermitteln soll, tagte die Gewerkschaft der Polizei in der Veltins-Arena Schalke noch ganz im klassischen Grün zum Thema "Sport, Gewalt und Fußball-WM 2006".

Wenn "Die Welt zu Gast bei Freunden" ist, wie das offizielle Motto (engl. Fassung: "A time to make friends") verspricht, dann sind einige gar nicht gern als Gast gesehen. Die Version 4.3 der Datei "Gewalttäter Sport" wird der umfassende Schutzschirm sein, der in Verbindung mit dem datenbankgestützten Ticketing mittels RFID-Chip dafür sorgen soll, dass Stadionverbote und Meldeauflagen peinlich genau eingehalten werden. Im konstanten Datenaustausch mit den Ländern, die Mannschaften zur Fußball-WM schicken, werde die umfangreiche Datei laufend mit "ergänzenden Maßnahmen aus der Info-Gewinnung" gefüttert, erklärte Jürgen Mathies, Leiter des WM-Vorbereitungsstabes vor den versammelten Gewerkschaftern. "Es ist für uns wesentlich, dass absolut ausgeschlossen ist, dass auf der Straße gekaufte Tickets zum Eintritt ins Stadion berechtigen."

Mathies' Gegenüber bei der FIFA, der Sicherheitsbeauftragte Helmut Spahn betonte ergänzend, dass alle Eintrittsausweise, auch die umstrittenen, bei der Ausgabe nur numerierten Sponsoren-Tickets, personalisiert werden. Dies sei bis eine Stunde vor Spielbeginn möglich. Zusätzlich werden alle Ordner und polizeilichen Sicherheitskräfte akkreditiert und dabei einer polizeilichen Zuverlässigkeitsüberprüfung wie einer eigenen Prüfung durch den Verfassungsschutz unterzogen. Als weitere Sicherungsmaßnahme müssen sich alle Anlieferer von Waren für die Stadien 48 Stunden vorher telefonisch anmelden, ihre Personalien durchgeben und bei der Anlieferung den Personalausweis abgeben. Alle LKW werden von Spezialisten auf Material für terroristische Anschläge durchsucht. Besucher mit gültigem RFID-gestützten Ticket werden insgesamt viermal in den verschiedenen Sicherheitszonen überprüft. Bis zur letzten Barriere können sie dabei "rot geschaltet" werden, erklärte Spahn.

Für Konrad Freiberg, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, entsteht so die komplexe Situation, dass die Stadien zu Oasen der Sicherheit werden, in denen intensive Sicherheitsmaßnahmen nicht mehr notwendig sind, während im städtischen Umfeld das so genannte "Public Viewing" Probleme macht. Die Fans, die auf Großleinwänden das Spiel ihrer Mannschaft verfolgen, entziehen sich der Kontrolle: "Für polnische, holländische, französische, ja letztendlich sogar für englische Fans ist es durchaus möglich, in wenigen Stunden mit dem Privat-KFZ die Spielorte zu erreichen." Pro Spiel könnten allein aus England bis zu 25.000 Fans ohne Ticket anreisen, die das Spiel ihrer Mannschaft sehen wollen, so Freiberg. Er forderte ein Verbot des Alkoholausschanks in den Stadien und ihrem Umfeld, auch wenn eine Brauerei der Hauptsponsor der WM sei.

Doch was ist eigentlich der gefürchtete Fan für ein Wesen? Professor Gunter Pilz, ein Soziologe vom Institut für Sportwissenschaft der Uni Hannover, der seit 25 Jahren über Fußballfans forscht, unterteilte die Fans in Kuttenfans, Hooligans, Ultras und Hooltras. Während die Kuttenfans der 80er Jahre langsam aussterben (und sich in Särgen in der Mannschaftsfarbe beerdigen lassen) erfahren die Hooligans, die abseits der Stadien ihren "Sport" betreiben, einen Aufschwung: "Ihr Persönlichkeitsprofil unterscheidet sich in der Selbstbeschreibung nicht von dem eines mittleren deutschen Managers: freundlich-locker, cool-knallhart, durchsetzungsstark, respektiert, überlegen, selbstbewusst, Menschenkenner." Nach Pilz sind deutsche Hools überwiegend gut ausgebildete, gut verdienende Menschen, die den "Kick" suchen. Unter den Hools, die sich anlässlich des Spiels der deutschen Nationalmannschaft in Bratislava prügelten, befanden sich Rechtsanwälte und Notare, ein Ingenieneur und ein Universitätsdozent. "Sie können nur hoffen, dass der Hool in ein Alter kommt, in dem dieser Sport für ihn zu anstrengend ist", meinte Pilz. Als besonders gefährlich und gewalttätig nannte Pilz die polnischen Hooligans, die in der Dealer-Mafia verankert und entsprechend üppig mit Geld ausgestattet sind. Der Kauf von WM-Tickets sei für diese Gruppe kein Problem.

Ganz anders sieht es bei den männlichen und weiblichen   Ultras aus. Die aus Italien stammende Bewegung inszeniert im Stadion Schlachtengesänge mit Trommlergruppen und ironischen Transparenten und ist außerhalb des Stadions mit Grafitti-Sprayern aktiv. Die Ultras stehen nach Pilz dem "Eventismus" des modernen Fußballs skeptisch gegenüber und lehnen die durch die FIFA betriebene Umgestaltung des Fußballs zur Operette ab. "Wenn man sich allein das Rahmenkulturptogramm zur WM betrachtet, so ist das sehr verkopft, da kommt Fußballkultur nicht vor. Die Fans werden ein ungeliebter Teil der Blatter-Operettenkultur, das werden sich die Fans nicht gefallen lassen", erklärte Pilz, der auf den Ultra-Slogan "Holt euch die Stadt zurück" verwies und auf den Unmut in der Szene, die zur WM ohne viel Federlesens in die Datei "Gewalttäter Sport" eingespeichert werde. In dem Moment, in dem sich die abgewiesenen Ultras städtische Aktionen überlegen, werden sie nach Pilz gewalttätig und zu Hooltras, bei denen wiederum die Hooligans Anschluss finden können.

Im Rahmen der Sicherheitsmaßnahmen gibt es eigentlich kein Konzept für den Umgang mit dieser Gruppe, sieht man von Hubschrauber-Einsätzen gegen Sprayer ab. In diesem Zusammenhang kritisierte Pilz die Haltung von Fußball-Vereinen wie Bayern München, das seine Ultras mit offiziellen Flublättern aufgefordert hatte, sich beim Auswärtsspiel in Berlin mit Graffittis in den 900 Quadratkilometern der Stadt auszutoben.

Siehe zum Thema Ticketverkauf, Zuschauerüberwachung und Datenschutz zur Fußball-WM 2006 auch:

(Detlef Borchers) / (jk)