Karlsruhe weist Beschwerden gegen neue Überwachungsregeln ab

Das Bundesverfassungsgericht hat mehrere Verfassungsbeschwerden gegen die Reform der Telekommunikationsüberwachung abgewiesen und dabei den Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung neu interpretiert.

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Das Bundesverfassungsgericht hat mehrere Verfassungsbeschwerden gegen die Novelle der Telekommunikationsüberwachung aus dem Jahr 2007 zurückgewiesen. Geklagt hatten unter anderem mehrere, vom Altliberalen Burkhard Hirsch vertretene FDP-Abgeordnete und Vertreter der Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union. Die Kläger kritisierten die unzureichende Sicherung des "absolut geschützten Kernbereichs privater Lebensgestaltung", einen 2-Klassen-Schutz sogenannter Berufsgeheimnisträger und eine unangemessene Ausweitung des Straftatenkatalogs. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgericht unter dem Präsidenten Andreas Voßkuhle ließ keinen der vorgebrachten Gründe gelten.

2. Senat des Bundesverfassungsgerichts mit Präsident Andreas Voßkuhle (4.v.l.)

(Bild: Bundesverfassungsgericht)

Mit dem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss vom Oktober (AZ: 2 BvR 236/08, 2 BvR 237/08, 2 BvR 422/08) bestätigte die Kammer das neue zweistufige Konzept, das Abgehörte vor Eingriffen in ihre Intimsphäre bewahren soll. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer müssten Uberwachungsmaßnahmen nicht schon deshalb unterlassen werden, "weil auch Tatsachen mit erfasst werden, die auch den Kernbereich des Persönlichkeitsrechts berühren".

Ein umfassendes Erhebungsverbot würde die TK-Überwachung in einem Maße einschränken, "dass eine wirksame Strafverfolgung gerade im Bereich schwerer und schwerster Kriminalität nicht mehr gewährleistet wäre", begründen die Karlsruher Richter. Der Schutz des Kernbereichs sei durch einen "hinreichenden Grundrechtsschutz in der Auswertungsphase" sicherzustellen. Sollten bei einer Abhörmaßnahme Daten erfasst werden, die die absolut geschützte Intimsphäre berührten, greife das Verwertungsverbot.

Der Gesetzgeber habe den Katalog der Straftaten, bei denen abgehört werden darf, "nicht in verfassungswidriger Weise in die Bereiche der leichten und mittleren Kriminalität hinein ausgedehnt", befanden die Verfassungshüter weiter. Die Gesetzesreform ermöglicht die Überwachung etwa auch bei Korruptionsdelikten, schweren Steuervergehen oder Verbreitung, Erwerb und Besitz von Kinderpornografie.

Für vereinbar mit dem Grundgesetz hält Karlsruhe auch das überarbeitete Modell zum Schutz von Zeugnisverweigerungsberechtigten. Ein absolutes Beweiserhebungs- und Verwendungsverbot gilt demnach für Abgeordnete, Seelsorger und Strafverteidiger sowie seit Februar 2011 auch für die übrigen Rechtsanwälte. Andere Berufsgeheimnisträger wie Ärzte oder Journalisten dürfen dagegen "nach Abwägung der Verhältnismäßigkeit" überwacht werden. Mit der Begrenzung des absoluten Schutzes auf wenige Ausnahmefälle trage der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung, "dass die Verfolgung von Straftaten hohe Bedeutung hat", heißt es in dem Beschluss.

Nicht zuletzt bestätigten die Verfassungsrichter auch die überarbeitete Regelung, ob und wann Betroffene über erfolgte verdeckte Ermittlungsmaßnahmen zu informieren sind. Der Anspruch darauf gehöre zwar zum effektiven Grundrechteschutz, schreiben die Richter. Ausnahmen könnten aber in Abwägung mit verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern Dritter vorgesehen werden. Unterbleiben könne eine Benachrichtigung etwa, "wenn die Kenntnis des Eingriffs in das Telekommunikationsgeheimnis dazu führen würde, dass dieser seinen Zweck verfehlt". (vbr)