IT-Branchenverband bemängelt Pflichten zur Archivierung von Netzinhalten

Die Lobby-Vereinigung Bitkom hat den Entwurf einer Verordnung für die Pflichtablieferung von Medienwerken wegen fehlender Angemessenheit, erheblichen Belastungen für Online-Firmen und Unklarheiten scharf kritisiert.

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Die IT-Branchenvereinigung Bitkom hat den Entwurf der Bundesregierung für eine Verordnung für die Pflichtabliegerung von Medienwerken an die Deutsche Nationalbibliothek in einer heise online vorliegenden Stellungnahme scharf kritisiert. Man habe zwar grundsätzlich Verständnis für Bestrebungen, Netzpublikationen von öffentlichem Interesse auf Dauer für Literatur, Wissenschaft und Praxis zu sichern und zugänglich zu machen. Der Bitkom bemängelt jedoch insbesondere die mit dem Verordnungsentwurf verbundene Rechtsunsicherheit hinsichtlich erfasster Netzpublikationen, die fehlende Angemessenheitsprüfung aus Sicht der Ablieferungspflichtigen, ungeklärte urheberrechtliche Aspekte sowie eine erhebliche zusätzliche Belastung von Online-Unternehmen.

Gemäß dem Verordnungsentwurf, mit dem das weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit novellierte und auf "unkörperliche Werke" ausgeweitete Gesetz über die Deutsche Nationalbibliothek (DNBG) konkretisiert werden soll, sind künftig auch Netzpublikationen "in marktüblicher Ausführung und in mit marktüblichen Hilfsmitteln benutzbarem Zustand" an die Leipziger Einrichtung abzuliefern. Wer dieser Verpflichtung nicht oder nicht vollständig nachkommt, muss im Extremfall mit einer Geldbuße mit bis zu 10.000 Euro rechnen.

Der Bitkom stört sich bereits am Umfang der im Raum stehenden Pflichtablieferung. Eigentlich solle mit der Verordnung der Kreis der Betroffenen eingeschränkt werden, wenn kein öffentliches Interesse an der Sammlung dieser Medienwerke besteht. Der Entwurf setze diese gesetzliche Vorgabe aber nur in unzureichendem Umfang und in unklarer Weise um. Für einen Großteil unternehmerischer Websites etwa bleibe die Pflichtablieferung bestehen. Dies sei vor dem Hintergrund kritisch zu sehen, dass nahezu jedes Unternehmen heute über eine Website verfügt. Häufig würden daneben von Firmen auch Newsletter mit einem webbasierten Archiv angeboten.

Im privaten Bereich ist für Websites zwar laut dem Entwurf grundsätzlich keine Pflichtablieferung vorgesehen. Allerdings sollen Weblogs wiederum gemäß der Begründung prinzipiell ablieferungspflichtig sein. Insoweit besteht laut Bitkom Rechtsunsicherheit, ob damit auch private Web-Journale erfasst werden sollen. Schätzungen aus dem Frühjahr 2006 zufolge gebe es in Deutschland circa 1,6 Millionen Weblogs, die eventuell ihre Inhalte abliefern müssten. Allein aufgrund dieser immensen Zahl erscheine eine generelle, uneingeschränkte Pflichtablieferung in diesem Bereich wenig praktikabel. Der Branchenverband verweist auf weitere absehbare Komplikationen, da eine Netzpublikation innerhalb einer Woche nach Veröffentlichung abzuliefern sei. Anders als körperliche Medienwerke würden sich aber gerade Weblogs ständig ändern. Insoweit sei nicht ersichtlich, ob und wann eine erneute Ablieferung stattzufinden hätte.

Der Bitkom merkt ferner an, dass sich die geplante Verordnung nicht mit urheberrechtlichen Aspekten einer Pflichtablieferung beschäftige. Häufig sei der Ablieferungspflichtige aber nicht gleichzeitig Urheber der auf der Website enthaltenen Werke. Er habe vielmehr auf Basis von Content-Lizenzverträgen von einem Urheber das möglicherweise zeitlich befristete Recht zur Aufnahme eines Werks auf seiner Website erhalten. Von einer Pflichtablieferung würden dagegen zumindest das dem Urheber zustehende Vervielfältigungsrecht und das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung betroffen. Diese Nutzungsrechte dürfe der Verpflichtete nur mit Zustimmung des Urhebers übertragen. Überlässt er der Nationalbibliothek eine Archivkopie seiner Website, bestehe so die Gefahr von Urheberrechtsverletzungen.

Auch die Kostenabschätzungen der Regierung sind für die Branchenvereinigung nicht nachvollziehbar. So würden für die Abgabepflichtigen nur "vernachlässigbare" Belastungen prognostiziert. Zudem sollten angeblich Bürokratiekosten in Höhe von 140.000 Euro für die Wirtschaft wegfallen. Zur Begründung für diese Behauptung verweise die Regierung auf die Einsparung eines Begleitzettels mit Erläuterungen zu den Publikationen. Viel gravierender ist für den Bitkom, dass Berlin zusätzliche im Rahmen der Verordnung entstehende Bürokratiekosten nicht erfasst. Diese würden das Kostensenkungspotenzial "um ein Vielfaches übersteigen". Der Verband rechnet letztlich mit einer Mehrbelastung für deutsche Firmen in Höhe von 114,8 Millionen Euro pro Jahr. Bei dieser Schätzung seien die Webpräsenzen hiesiger Unternehmen unter nicht-landesspezifischen Domains wie .com, .net oder .eu noch gar nicht berücksichtigt.

Als wünschenswert betrachtet es der Bitkom unter anderem, die Belastung von Abgabepflichtigen tatsächlich zu minimieren. Es sollten Wege gefunden werden, Netzpublikationen von öffentlichem Interesse auch ohne aktives Handeln der Abgabepflichtigen zu archivieren. Der Umfang der Pflichtablieferung und ein auch unter dem Aspekt des Aufwands für die Betroffenen geeignetes Abrufverfahren sollten daher grundlegend überdacht und in einem entsprechend überarbeiteten Verordnungsentwurf abgebildet werden. (Stefan Krempl) / (jk)