MailĂĽfterl-Konstrukteur Zemanek in Wien geehrt
Am gestrigen Dienstag wurde in Wien ein Festakt zu Ehren des 85. Geburtstags vom Konstrukteur des ersten vollständig transistorisierten, binärdezimalen Computers auf dem europäischen Festland begangen.
Mit zwei Monaten Verspätung wurde am gestrigen Dienstag in Wien der 85. Geburtstag von Heinz Zemanek mit einem vom Österreichischen Verband für Elektrotechnik (ove) und der Oesterreichischen Computer Gesellschaft (OCG) organisierten Festakt begangen. Zemaneks ist der Konstrukteur des Mailüfterl, dem ersten vollständig transistorisierten, binärdezimalen Computer auf dem europäischen Festland. Während des Festaktes wurde er mit dem Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse ausgezeichnet. Am Vormittag hatte sich der am ersten Januar 1920 geborene Zemanek, von Kraft und Humor strotzend, der Presse gestellt.
Der gelernte Nachrichtentechniker, der auch 20 Jahre nach Antritt seines Ruhestandes noch regelmäßig an der Technischen Universität Wien Vorlesungen hält, berichtete von der Entstehungsgeschichte des Mailüfterl. "Das war ein halb illegales Unterfangen eines kleinen Hochschulassistenten", sagte Zemanek über sein berühmtestes Projekt, das er ohne offizielle Genehmigung und somit auch ohne finanzielle Unterstützung der Universität mit einer Gruppe von Studenten realisierte. Er reiste 1954 zu Philips nach Holland, um dort wegen einer Sachspende vorzusprechen. Die Menge von 1.000 Transistoren und deren Einsatzzweck war, nur sieben Jahre nach Erfindung des Transistors, schwer zu vermitteln. Zemanek war dennoch teilweise erfolgreich -- er erhielt 1.000 Höhrrohrtransistoren. Deren Leistungsfähigkeit war beschränkt, weshalb das handgelötete Endprodukt kein Wirbelwind, aber immerhin ein Mailüfterl wurde. Dessen Speicherkapazität gibt sein Schöpfer mit 10.000 Wörtern zu je 10 Stellen an. Parallel wurde in ähnlicher Technik ein Vocoder gebaut.
Da die Programmiersprache Algol nicht direkt eingesetzt werden konnte, musste ein eigener Algol-Compiler geschaffen werden, bevor der für Numerik ausgerüstete Computer seine erste Aufgabe lösen durfte: die Berechnung einer neunstelligen Primzahl. Danach wurde für den Zwölfton-Komponisten Hans Jelinek errechnet, wie viele Zwölftonreihen es gibt, in der sowohl jeder Ton genau einmal vorkommt, gleichzeitig aber auch jedes Intervall genau einmal vorkommt (Allintervallreihen). Nach 60 Stunden Rechenarbeit wurde 2x1928 als Ergebnis ausgespuckt. Um für diese langen Rechenzeiten nicht ständig am Institut sein zu müssen, hatten die Techniker den Hauptakkumulator des Rechners an das Telefon gekoppelt. Sie konnten dadurch von zu Hause anrufen und anhand der hörbaren "Melodie" feststellen, ob das Programm läuft. Ein angeschlossener Fernschreiber mit Lochkartensystem diente als Ein- und Ausgabegerät. Später fütterte Zemanek den Rechner mit Ludwig Wittgensteins Tractatus Logico-Philosophicus. Durch den automatisierten Austausch von Fachbegriffen wollte er den Tractatus in ein für Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen verständliches Werk übersetzen. "Das war eine Pleite. Aber ich habe sehr viel dabei gelernt", so der Professor am Dienstag. Heute steht der Mailüfterl im Technischen Museum Wien.
1961 übersiedelte Zemanek mit der Mailüfterl- und der Vocoder-Gruppe zu IBM. Das Telefon-Antwortgerät IBM 7772 für Tabellenabfrage auf Basis des Vocoders war in der IBM/360-Familie das erste Produkt, das auf der Arbeit des eigens in Wien geschaffenen Labors beruhte. Als bahnbrechend gilt die formale Definition der Programmiersprache PL/I, die im selben Labor erfolgte. Es folgten weitere Jahrzehnte an Forschungs- und Publikationstätigkeit. Bis zur Jahrtausendwende verfolgte Zemanek die technischen Entwicklungen genau. Inzwischen aber "ziehe (ich) mich bei meinem Vorlesungen auf Geschichte und Philosophie zurück. Das heißt aber nicht, dass ich den Blick auf die Zukunft verloren hätte." Um über die Zukunft reden zu können, müsse man Schlüsse aus der Vergangenheit ziehen können. Die rasante Entwicklung der Mikro-Elektronik, die die Hardware-Parameter alle 20 Jahre um den Faktor 1.000 verbessere, sei auch eine Drohung: "Es bringt uns viel Bequemlichkeit, aber es ist nicht bequem. Auf Mikrolorbeeren kann man sich nicht ausruhen, sie zwingen zum Strampeln. Und Strampeln schließt Unvorsichtigkeiten ein."
Wir könnten zwar immer schneller und billiger auf immer mehr Informationen zugreifen -- deren Beurteilung sei aber schwierig, betonte der Jubilar. "Wir haben nicht nur das Problem der Qualität (der Information), sondern auch der Bedeutung. Der Computer hat keine Vorstellung von Bedeutung." Der Umgang mit Wissen und mit neuen Technologien sieht Zemanek als Herausforderung. Selbst verwendet er "einen von meinem Händler zusammengestellten PC. Genauer gesagt, sieben." In einem für den gestrigen Anlass verfassten Text betont der IT-Pionier: "Man kann arm sein, weil man viel zu wenig hat. Man kann aber auch immer ärmer werden, weil man immer größere Fülle um sich hat. Es liegt an uns, am Benutzer der Technik", so Zemanek, "High Tech braucht High Mores (High Ethics). High Tech kann man im Versandhaus bestellen."
Siehe auch das Interview mit Heinz Zemanek in Telepolis aus dem Jahr 1999:
- Mailüfterl, Al Chorezmi und Künstliche Intelligenz, Ein Gespräch mit dem Computerpionier Heinz Zemanek
(Daniel AJ Sokolov) / (thl)