Softwarepatente: Kluft zwischen EU-Parlament und Kommission wird tiefer

Nach einem Treffen von Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy mit der Parlamentsspitze ist von einem "veritablen konstitutionellen Konflikt" die Rede; zeitgleich wächst der Druck auf den EU-Rat.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 222 Kommentare lesen
Lesezeit: 6 Min.

EU-Binnenmarktkommissar Charlie McCreevy traf sich am heutigen Donnerstag mit der Konferenz der Präsidenten des EU-Parlaments zu einem Gespräch über die umstrittene Richtlinie über die Patentierbarkeit "computerimplementierter Erfindungen". Hintergrund war die Absage der Kommission an den Wunsch der EU-Abgeordneten, das vertrackte Gesetzgebungsverfahren neu zu starten. Geladen hatte die Parlamentsspitze eigentlich den Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso. Da dieser sich wegen eines vollen Terminkalenders entschuldigen ließ, erklärte McCreevy in wenigen Sätzen, dass die Kommission den EU-Rat am Zug sieht und im Rahmen der 2. Lesung der Richtlinie das Parlament noch ausreichend Änderungen vornehmen könne. Andere Optionen würden die Union dagegen ins "Chaos" stürzen.

Wie schon sein Chef schon im Brief an Parlamentspräsident Josep Borrell Fontelles ging auch McCreevy nicht ernsthaft auf die Schwierigkeiten ein, in die der Ministerrat mit seiner wackeligen Position vom Mai geraten ist. Vielmehr kündigte er an, dass der Wettbewerbsrat am kommenden Montag den Standpunkt formell beschließen werde. Erst am morgigen Freitag will die luxemburgische Präsidentschaft jedoch entscheiden, ob die Richtlinie auf die Tagesordnung für den Wettbewerbsrat kommt. Das niederländische Parlament, das die Ratsposition ablehnt, hat die Regierung in Den Haag auf Antrag der liberalkonservativen Volkspartei voor Vrijheid en Demokratie (VVD) heute bereits aufgefordert, bei der Kommission eine komplette Rücknahme des Richtlinienentwurfs zu erbitten. Stattdessen soll im Rahmen der Direktive für ein Gemeinschaftspatent nach Möglichkeiten der Begrenzung von Trivialpatenten gesucht werden. Morgen will sich zudem das dänische Parlament ähnlich wie der Bundestag positionieren.

Die Haltung der Kommission gegenüber dem EU-Parlament kommt dort selbst immer schlechter an. "McCreevy hat sich arrogant aufgeführt", schimpft die grüne Abgeordnete Eva Lichtenberger. Die Österreicherin spricht von einem "veritablen konstitutionellen Konflikt" zwischen der Kommission, die sich in dem Streit um die Softwarepatentierung offen hinter die Marktgiganten gestellt habe, und dem Parlament, das sich die Befindlichkeiten der gesamten Branche bewusst gemacht habe. Von den Regierungen im Rat verlangt sie die Ehrlichkeit zu sagen, als wessen Schutzmacht sie sich sehen.

Auch andere EU-Abgeordnete üben nach wie vor scharfe Kritik an der Verweigerung der Wiederaufnahme des Verfahrens. Alexander Alvaro spricht von einer "Brüskierung" des Europaparlaments. Der FDP-Politiker sitzt für die Liberalen im Rechtsausschuss, der den Neustartantrag ins Rollen gebracht hatte, und verweist nun darauf, dass "wesentliche Punkte der Richtlinie" nach wie vor nicht geklärt seien. Der vorliegende Entwurf ist seiner Ansicht nach "ein Garant für Rechtsunsicherheit und gefährdet Open-Source-Anwendungen." Er gäbe keine Antwort darauf, wie Trivialpatente vermieden werden könnten.

Auch die österreichische Rechtsausschusskoordinatorin Maria Berger hat noch einmal nachgelegt: Die Sozialdemokratin spricht von einem "unüberlegten Schulterschluss mit Microsoft, der die EU-Kommission noch teuer zu stehen kommen könnte". Vom Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) kommt derweil die Information, dass sich Kommissionspräsident Barroso am 31. Januar mit Microsoft-Gründer Bill Gates für ein privates Abendessen getroffen habe. Der Rechtsausschuss des Parlaments will nun am Montagabend entscheiden, wie man auf die Absage eines Neustarts durch die Kommission reagieren soll. Unter anderem erwägen die Ausschussmitglieder, Barroso aufzufordern, McCreevy die Zuständigkeit für die Richtlinie zu entziehen.

Im eskalierenden Streit hat sich ferner erstmals die Deutschsprachige Zope User Group (DZUG) zu Wort gemeldet. In gleich lautenden Schreiben an den Bundeskanzler, die Justizministerin sowie die Bundeswirtschaftsminister von Deutschland und Österreich fordert der Verein die Regierungen auf, die Patent-Posse endlich zu beenden. Die Ablehnung des Neubeginns "hat unseren Glauben in eine funktionierende Demokratie in Europa schwer erschüttert", erläutert der DZUG-Vorsitzende Christian Theune. Die deutsche Bundesregierung müsse Farbe bekennen und klarstellen, ob sie die Interessen der kleinen und mittelständischen Unternehmen schützen wolle. Ähnlich äußert sich die Initiative "Hamburger Unternehmen gegen Patentierbarkeit von Software".

Münchens Oberbürgermeister Christian Ude schlägt ebenfalls in diese Kerbe. Er sieht neben dem Parlament "sämtliche Kritiker" der Richtlinie brüskiert. Besser wäre es seiner Ansicht nach gewesen, wenn die Kommission die vom Parlament gebaute "goldene Brücke" hin zum Neustart beschritten hätte. Die Minister hätten es nun in der Hand, eine erneute Diskussion zu diesem Thema bereits auf Ratsebene anzustoßen. Der SPD-Politiker schickt als Signal nach Berlin: "Nach dieser äußerst seltenen Zuspitzung sollte sich auch die Bundesregierung im EU-Ministerrat für Nachbesserungen einsetzen, die am einfachsten bei Neuverhandlungen erreicht werden können."

Zum Thema Softwarepatente siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)