Sichergehen vor der Zeugung

In den USA können sich Paare mit Kinderwunsch auf Mutationen untersuchen lassen, die schwere Erbkrankheiten auslösen. Die Tests revolutionieren die Familienplanung, doch sie werfen auch ethische und juristische Fragen auf.

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Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler
Inhaltsverzeichnis

In den USA können sich Paare mit Kinderwunsch auf Mutationen untersuchen lassen, die schwere Erbkrankheiten auslösen. Die Tests revolutionieren die Familienplanung, doch sie werfen auch ethische und juristische Fragen auf.

Megan und Patrick Crowley können sich nicht mehr allein bewegen, sie sind auf einen elektrischen Rollstuhl angewiesen. Die beiden 14- und 13-jährigen Teenager sind auch nicht mehr in der Lage, selbstständig zu atmen, ohne die Unterstützung einer Beatmungsmaschine würden sie ersticken. Die Geschwister leiden an der sogenannten Pompeschen Krankheit. Arm-, Bein-, Atem- und Herzmuskulatur versagen nach und nach den Dienst, weil sich in ihnen mangels eines wichtigen Enzyms eine toxische Menge an Glukose anhäuft und zum Absterben der Muskelzellen führt. Megans und Patricks Geschichte, die mit der Entwicklung eines zumindest die Symptome lindernden Medikaments endet, wurde 2010 sehr eindrücklich in dem Kinofilm "Ausnahmesituation" erzählt.

Das Wissen, dass sie ihren Kindern die seltene, unheilbare Pompesche Krankheit unwissentlich vererbt haben, lastet schwer auf John und Aileen Crowley. Es gab keine Vorwarnung, dass etwas so Furchtbares in ihnen lauerte – ihr ältester Sohn John und sie selbst sind gesund. Beide Eltern tragen je eine gesunde und eine fehlerhafte Genkopie des fraglichen Enzyms in sich, wobei die heile Version den Ausfall der schadhaften kompensiert.

Megan und Patrick jedoch erbten jeder beide Schadkopien und erkrankten deshalb unweigerlich. Hätten ihre Eltern die Schwangerschaft verhindert, wenn sie von ihrer prekären Genkonstellation gewusst hätten?

Für das Ehepaar Crowley stellt sich die Frage nicht mehr, doch viele Paare wollen aus Angst, ein schwerbehindertes Kind zu bekommen, bereits vor der Zeugung wissen, ob sie Träger von schweren seltenen Erbleiden sind. Für sie gibt es inzwischen Labortests, die charakteristische Mutationen für viele monogenetische Krankheiten aufspüren – solche also, die durch ein einziges fehlerhaftes Gen ausgelöst werden. Diese Tests haben, wie die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" schrieb, "das Zeug, die Familienplanung zu revolutionieren wie einst die Pille". Doch solche Tests sind umstritten: Zwar liefern sie eine verlässliche Basis für die Entscheidung der Eltern, ob sie das 25-prozentige Risiko eingehen oder sich lieber gegen eine Schwangerschaft entscheiden wollen. Sie werfen allerdings auch ethische und juristische Probleme auf.

Bisher ließen sich Erbleiden frühestens nach der Zeugung feststellen – in Ausnahmefällen per Präimplantationsdiagnostik bei künstlichen Befruchtungen oder per Fruchtwasseruntersuchung bei Kindern, die auf natürlichem Weg gezeugt wurden. Solche vorgeburtlichen Untersuchungen sind in Deutschland zwar erlaubt, aber ethisch umstritten, weil sich die Mutter im Fall einer schweren Erkrankung des Kindes für eine Abtreibung entscheiden darf. Wer auf solche Untersuchungen verzichtet, erfährt erst nach der Geburt, ob sein Kind von einem seltenen Erbleiden betroffen ist – frühestens, wenn dieses mit den wenigen vorgeschriebenen Neugeborenentests erkannt wird, oder gar erst, wenn die ersten Symptome auftreten.

Für den Mediziner Stephen Kingsmore vom Kansas City Children's Mercy Hospital wiegen die Vorteile von Gentests die mit ihnen verknüpften Bedenken mehr als auf. Der von ihm entwickelte Eltern-Gentest soll knapp 600 rezessiv vererbte Krankheiten aufspüren. Er sucht an etwa 7000 genau definierten Stellen im Erbgut nach charakteristischen Mutationen. Weil der Test auf einer schnellen und günstigen Sequenzierungsmethode beruht, bei der die Abfolge der Basenpaare in ausgewählten Bereichen des Erbmoleküls DNA ermittelt wird, könnte er laut Kingsmore bereits für etwa 600 Dollar – 450 Euro – angeboten werden.