Deutsche TV-Sender sehen Fernsehen übers Internet skeptisch

Microsoft will mit IPTV das gute alte Massenmedium revolutionieren, doch die Inhaltelieferanten sehen noch keinen echten Mehrwert im Angebot der Redmonder.

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Microsoft will mit der Verbreitung von Fernsehen übers Internet via [#2401 IPTV] (Internet Protocol TV) das gute alte Massenmedium revolutionieren, doch die Inhaltelieferanten sehen hierzulande noch keinen echten Mehrwert im Angebot der Redmonder. "Nur ein weiterer neuer Übertragungskanal bringt uns gar nichts", erklärte Marc Adam, Director Interactive Business beim Pay-TV-Sender Premiere, am heutigen Freitag auf den Münchner Medientagen. Es gebe einfach noch zu wenig Modelle wie interaktive Wetten, Spiele oder neue Werbeformen, "mit denen wir über IPTV auch Geld verdienen können". Viel Entwicklungsarbeit sei noch zu leisten, bis das Internet-Fernsehen ausgereift sei, zeigte sich auch Robert Amlung, Koordinator Digitale Entwicklung beim ZDF, zurückhaltend. Die Mainzer seien gerade dabei, ihre Mediathek auch für die Distribution über ein IP-Modell einzurichten. So gebe es Abrufvideos und multimediale Inhalte inzwischen auch fürs Fernsehgerät und für Mobiltelefone. Amlung stellte aber klar: "Wir sind nicht diejenigen, die den Markt treiben."

Thomas Aufermann, Direktor Communications Sector bei Microsoft Deutschland, hatte zuvor kräftig die Werbetrommel für IPTV gerührt. Das Kürzel sei am besten zu übersetzen mit "das bessere Fernsehen", führte er aus. Er stellte klar, dass es sich etwa bei Settop-Boxen mit dem Windows-Betriebssystem Media Center Edition (MCE) noch nicht um echtes IPTV handle. Dabei gebe es zwar schon Interaktionsmöglichkeiten etwa über DSL, die Inhalte würden aber noch über die klassischen Transportwege wie Kabel oder Satellit geliefert. Ausschlaggebend bei IPTV sei die "breitbandige IP-Verbindung" auf das Endgerät Fernseher, also die gesamte Bildübertragung via Internet. Dazu kämen die Steuerungsmöglichkeit über die Fernbedienung sowie Zusatzangebote wie Video on Demand (VoD), zeitversetztes Abrufen von Sendungen (Time Shifting), elektronische Programmführer oder Jugendschutzapplikationen. Als Endgeräte sei der Fernseher selbst genauso wie der PDA oder das Smartphone denkbar. Entscheidend dabei sei, dass auf allen Abruforten die gleiche Bedienoberfläche erhalten bleibe.

Interesse an IPTV zeigen momentan vor allem Telekommunikationsunternehmen, die auf das viel beschworene Pferd "Triple Play" setzen, also die Erweiterung ihres klassischen Sprachtelefonie-Angebots durch Internetzugang, Voice over IP und Video on Demand. "Jeder große Telekommunikations-Operator, der bislang nicht in diesem Spiel war, ist in der einen oder anderen Weise bemüht, reinzukommen oder mitzugestalten", erklärte Aufermann. Die Sender dagegen haben zahlreiche Bedenken, da Time Shifting auch das Überspringen von Werbeblöcken erlaube. "Wir wollen keine Boxen, die unser Kerngeschäftsmodell angreifen", betonte Marcus Englert, Director Diversifikation bei ProSiebenSat.1. Die Zusatzgeräte seien so zu spezifizieren, "dass sie nicht so einfach ein Ad-Skipping ermöglichen". Generell müsse die IPTV-Infrastruktur aber "agnostisch" sein, also auf festen und offenen Standards beruhen, was die Erfordernis einer Mehrfachprogammierung der Inhalte für unterschiedliche Plattformen verhindere und unterschiedlichen technischen Dienstleistern Raum lasse.

In Deutschland bemüht sich insbesondere die Telekom, im Zukunftsmarkt Internet-TV Fuß zu fassen. Ihre Tochter T-Online bietet seit zwei Wochen auf Basis ihres vor anderthalb Jahren gestarteten VoD-Portals "Vision" eine Streaming-Box für knapp 50 Euro an, die für den Fernseher Breitbandanschluss, DSL-Telefonie und Unterhaltungssendungen koppelt. Bisher seien die rund 70.000 über T-Online Vision getätigten Abrufe pro Monat nämlich noch stark an das Endgerät PC gekoppelt, verriet Marc Schröder, Bereichtsleiter T-Home bei dem Darmstädter Provider. Nun gehe es auch darum den TV-Gerät zu erobern, wozu auch der Aufbau des ultraschnellen Glasfasernetzes der Telekom dienen soll. Eine reine Ausstrahlung von Free-TV übers Internetprotokoll hält Schröder hierzulande allerdings für wenig attraktiv, da anders als im Ausland die Versorgung mit kostenlos abrufbaren Fernsehprogrammen schon sehr gut sei. Ähnlich wie die Sendervertreter warf Schröder so die Frage nach dem noch wenig klaren Zusatznutzen von IPTV für die Zuschauer auf.

Das Interesse der Nutzer, sich als eigene Programmdirektoren zu betätigen und so das interaktive Fernsehen zur Killer-Applikation zu machen, sehen die jetzigen Programm-Macher jedenfalls nicht mehr. "Wir sind groß geworden, weil wir über unsere Marke die Leute lenken", ist sich Englert sicher. Auch Amlung glaubt weiter an den Erfolg des "linearen Fernsehens" nach mundgerechter Vorgabe, das aber dank "vieler kleiner begleitender Services attraktiver wird". Die von Microsoft ausgerufene Medienrevolution wird so noch auf sich warten lassen, zumal man Interaktivität heute "vergessen" könne, "wenn bei Streaming das Signal zehn Sekunden später ankommt", legte Constantin Lange, Geschäftsführer RTL-interactive, einen Finger in die technischen Wunden. Konkurrent Englert gab dem Ansinnen der Provider, Free-TV-Programme kostenlos über IPTV zu verbreiten, ferner eine klare Absage. Möglich seien allein Beteiligungsmodelle, wie sie sein Haus gerade für Österreich mit der Telekom-Austria-Tochter AON) ausgehandelt habe: Dort starte im Januar das Streaming von ProSiebenSat.1 auch über IPTV. (Stefan Krempl) / (jk)