Britische Polizei soll Zensurbehörde werden

Nach einem zur Abstimmung anstehenden neuen britischen Terrorismusgesetz soll unter anderem ein Polizeibeamter die Befugnis haben, auch Provider zur Sperrung von Inhalten im Internet zu verdonnern.

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Im britischen Unterhaus steht ein neues Terrorismusgesetz (Terrorism Bill) vor der Verabschiedung. Es soll unter anderem die freie Meinungsäußerung einschränken und die Polizei zu einer Zensurbehörde machen. Bis zu sieben Jahren Haft und/oder Geldstrafen werden angedroht für:

  • die Veröffentlichung einer direkten oder indirekten Aufforderung zu terroristischen Akten, deren Vorbereitung oder Veranlassung ("Encouragement of Terrorism");
  • die Veröffentlichung von Informationen, die bei der Vorbereitung oder Ausführung terroristischer Akte hilfreich sein können;
  • die Veröffentlichung einer glorifizierenden Darstellung von früherem, gegenwärtigem oder zukünftigem Terrorismus, wenn diese von Mitgliedern der Öffentlichkeit wahrscheinlich als Billigung ähnlichen Verhaltens unter gegebenen Umständen verstanden werden kann;
  • die Veranlassung Dritter, eine der genannten Inhalte zu veröffentlichen;
  • das Anbieten, Verleihen, Verbreiten, Verkaufen, Weitergeben, elektronische Weiterleiten oder Herschenken solcher Publikationen sowie der Besitz solcher Publikationen, mit entsprechender Absicht ("possession with a view");
  • die Missachtung eines polizeilichen Zensurbefehls.

Gleichzeitig werden die Definitionen von "Terrorismus" erweitert und festgestellt, dass die Tat weder im Vereinigten Königreich begangen werden noch mit dem Königreich in Zusammenhang stehen muss, um die Rechtsfolgen auszulösen. Eine Ausnahmebestimmung sieht vor, dass Provider, Webhoster, Webmaster und dergleichen nicht bestraft werden, wenn sie nachweisen, dass sie von den Inhalten nichts gewusst haben und unter allen Umständen deutlich war, dass sie diese Inhalte nicht unterstützten. Der Innenminister Charles Clarke (Labour) bezeichnet den Gesetzesentwurf in den Erläuterungen als "kompatibel mit der (Menschenrechts-)Konvention".

Gelangt ein Polizist (Constable) zu der Auffassung, dass eine (bevorstehende) Publikation die genannten Tatbestände erfüllt, soll er nicht nur gegen den Täter vorgehen, sondern auch Mittlern (beispielsweise Providern oder Buchhändlern), befehlen können, die Publikation nicht zu veröffentlichen, zu verbreiten und so weiter – beziehungsweise dies zu beenden. Stellte der Empfänger der Anordnung den gewünschten Zustand nicht innerhalb von zwei Tagen her, würde er so behandelt wie ein Täter. Die Nichtbefolgung der Anordnung würde nämlich als Unterstützung der publizierten Inhalte gewertet. Ob eine Publikation rechtswidrig ist, soll laut Gesetzesentwurf nicht an der Absicht des Verfassers oder dem tatsächlichen Inhalt gemessen werden; maßgebend ist vielmehr die wahrscheinliche Wirkung auf die Öffentlichkeit. Ob tatsächlich jemand angestiftet wird, wäre irrelevant. Rechtsmittel gegen polizeiliche Zensuranordnungen werden im Gesetzesentwurf nicht erwähnt.

Im Übrigen werden neue Straftatbestände eingeführt und Strafen für bestehende Tatbestände erhöht; zu den Straftatbeständen gehören etwa Betreten einer "nuklear site" (beispielsweise ein Atommülllager), Betreten eines zur Ausbildung von Terroristen genutzten Gebiets, Verweigern der Herausgabe von Entschlüsselungscodes und anderes mehr. Auch sollen Verdächtige auf richterliche Verfügung ohne Anklage bis zu drei Monate lang eingesperrt werden dürfen und Durchsuchungsbefehle künftig nicht nur für genau bezeichnete Lokalitäten, sondern für alle von einer genannten Person genutzten oder kontrollierten Räumlichkeiten und Liegenschaften ausgestellt werden können. Der zuständige Minister soll jede Organisation als einer bereits verbotenen Organisation gleichstehend und somit ebenfalls als verboten bestimmen können. Polizeikräfte dürften nach dem neuen Gesetz in deutlich mehr Situationen auch ohne Durchsuchungsbefehl Fahrzeuge durchsuchen; vom zuständigen Minister bestimmte Beamte könnten den Geheimdiensten erweiterte Vollmachten ausstellen. Die Dauer von Abhörgenehmigungen würde von drei auf sechs Monate verdoppelt, bevor sie verlängert werden müssen. Die mit Abhöraktionen Beauftragten sollen die damit verbundenen Auflagen für bis zu fünf Tagen selbst adaptieren dürfen. Die vorläufige Beschlagnahme von Geldmitteln könnte auch ohne öffentliche Anhörung und ohne Information der Betroffenen oder deren Anwälten von einem Friedensrichter oder Sheriff verlängert werden.

Verschiedene Gesetze, darunter der Intelligence Services Act 1994, der Terrorism Act 2000, der Regulation of Investigatory Powers Act 2000, der Anti-Terrorism, Crime and Security Act 2001 sowie der Prevention of Terrorism Act 2005 sollen parallel zu dem neuen Gesetz novelliert werden – die Terrorism Bill ergibt daher in großen Teilen nur zusammen mit den neuen Fassungen der anderen Gesetze einen Sinn. (Daniel AJ Sokolov) / (jk)