Neuer Rückschlag für die US-Musikindustrie

Ein US-Richter hat die Musikindustrie zur Übernahme der Prozesskosten einer wegen angeblichen Filesharings verklagten Frau verdonnert. Die Entscheidung könnte weit reichende Folgen haben.

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Es sind schwere Zeiten für die Musikindustrie. Das durchsichtige Anti-DRM-Manöver von Apple-Chef Steve Jobs wird die Big Four wahrscheinlich nicht so erschüttern, wie es eine Reihe von Rückschlägen vor US-Gerichten vermögen. Auf der anderen Seite des Atlantiks steht gerade die in den vergangenen Jahren gefahrene Strategie der Plattenlabels der massiven Klagen gegen Privatpersonen ernsthaft auf dem juristischen Prüfstand. Während in New York ein Richter noch über einer möglicherweise Präzedenz setzenden Entscheidung brütet, ist weiter westlich bereits ein wegweisendes Urteil ergangen. In dem Verfahren mehrerer Labels (unter anderem Capitol Records) gegen eine allein erziehende Mutter aus dem Bundesstaat Oklahoma hatte sich der Verband der amerikanischen Musikindustrie (RIAA) zurückgezogen, nachdem sich Deborah Foster gegen die Vorwürfe gewehrt und dem üblichen Vergleich verweigert hatte. Das US-Recht sieht in solchen Fällen keine automatische Übernahme der Anwaltskosten vor. Deshalb hatte der Richter erneut zu entscheiden, diesmal über einen Antrag Fosters auf Übernahme ihrer Unkosten durch die Kläger.

Der Richter hat dem jetzt zugestimmt. Am vergangenen Dienstag veröffentlichte das Gericht die Entscheidung, in der der Richter einige interessante Schlüsse zieht. Für einige Prozessbeobachter ist die Begründung von Richter Lee R. West der erste Sargnagel für die Klagekampagne der Musikindustrie. Der offensichtlichen Annahme der Plattenlabels, dass sich auch der Besitzer eines Internetzugangs über den illegal Musik getauscht wurde mindestens der Beihilfe zur Urheberrechtsverletzung strafbar mache, widerspricht West klar und deutlich. Das Urheberrecht selbst kenne solche Beihilfe gar nicht, argumentiert der Richter. Doch auch nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen könne eine Beihilfe nicht alleine aus der Bereitstellung des Mittels konstruiert werden. Darüber hinaus hält der Richter das Urheberrecht nicht für ein Schutzinstrument der Inhalteanbieter, vielmehr sei das Gesetz gedacht, den Zugang der Öffentlichkeit zu kreativen Werken zu regeln.

Der Richter verdonnerte die Labels auch zur Übernahme von Fosters Prozesskosten, weil der US Supreme Court darauf hingewiesen habe, dass die Grenzen des Urheberrechts so klar wie möglich definiert werden müssten. Dafür seien auch Prozesse wie Capitol vs. Foster geeignet. Es sei dem Gesetz und der Allgemeinheit in diesem Sinne nicht förderlich, wenn sich eine Partei angesichts möglicher horrender Prozesskosten auf einen Vergleich einige und die eigentliche Anschuldigung nicht endgültig geklärt werde.

Während die Entscheidung für Foster eine große Erleichterung sein dürfte (ihre Anwältin schätzt die Kosten bisher auf über 50.000 US-Dollar), stellt sie für die Plattenfirmen ein echtes Problem dar: Die Prozesskosten kann die Millionen-Industrie in Einzelfällen zwar verschmerzen, es geht auch weniger ums liebe Geld. Vielmehr steht das Urteil im Widerspruch zur zentralen Strategie der Labels, sich in möglichen Fällen von Urheberrechtsvergehen an die Anschlussinhaber zu halten. Darüber hinaus kann die Ansicht von Richter West Präzedenz setzen. Das wäre ein schwerer Rückschlag für die Industrie, der Beobachter unterstellen, mit den Massenklagen Präzedenzfälle durch die Hintertür etablieren zu wollen. Die Labels können aber noch in Berufung gehen. (vbr)