Streit über parlamentarische Folgenabschätzung zu ACTA

Das EU-Parlament will eine Analyse seines Juristischen Dienstes zu den Auswirkungen des umkämpften Anti-Piraterie-Abkommens nicht herausgeben. Es sorgt sich, dass daraus abweichende Folgerungen gezogen werden können.

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Eine Analyse des Juristischen Dienstes des EU-Parlaments zum umstrittenen Anti-Piraterie-Abkommen ACTA für den Handelsausschuss vom Oktober hat einen Streit über die Informationsfreiheit ausgelöst. Offiziell will das Parlament das Dokument mit der Nummer SJ-0501/11 nicht herausgeben, da es den komplexen Prozess der ACTA-Ratifizierung beeinträchtigen könne. Zwei Anträge auf Akteneinsicht, die der Blogger André Rebentisch stellte, sind aus Sorge um "abweichende rechtliche Schlussfolgerungen", die man aus den Begutachtungen ziehen könne, zurückgewiesen worden.

Unter der Hand wird die Rechtseinschätzung von einzelnen Abgeordnetenbüros dagegen schon seit Längerem auf gezielte Anfragen hin versandt. Der Pirat Christian Engström, der für die Fraktion der Grünen im EU-Parlament sitzt, hat sie mittlerweile zudem kurzerhand zusammen mit einem weiteren, für den Rechtsausschuss bestimmten Gutachten des Juristischen Dienstes ins Internet gestellt (PDF-Datei). Laut den Studien vertritt der Rechtsdienst die Ansicht, dass der Vertrag mit dem Gemeinschaftsrecht und den EU-Verträgen prinzipiell vereinbar sei. Für abgeleitetes Recht wie einzelne europäische Richtlinien oder Verordnungen könne man aber nicht die Hand ins Feuer legen. In der Tat sei es möglich, dass ein internationales Abkommen die Änderung dieses sogenannten Sekundärrechts erforderlich mache. Konkret zeichne sich dies bei ACTA aber noch nicht ab.

In heise online vorliegenden Antworten auf Nachfragen von Mitgliedern des Handelsausschusses machen die Juristen ferner deutlich, dass die von dem Vertrag vorgesehenen Strafsanktionen noch nicht Teil des EU-Rechts seien. Da Brüssel das Abkommen aber als "gemischte" Vereinbarung behandle, bleibe es den Mitgliedsstaaten vorbehalten, den strafrechtlichen Teil umzusetzen oder außen vor zu lassen. Es scheine zudem, dass ACTA an sich keine Auflagen enthalte, die offensichtlich nicht mit den in der EU verbrieften Grundrechten vereinbar seien.

Demonstration gegen ACTA in Nürnberg

(Bild: Hagen Sankowski (CC-BY-SA 3.0))

Der Juristische Dienst räumt aber ein, dass ACTA von den Unterzeichnern in einer Art umgesetzt werden könne, die die Positionen der betroffenen Interessengruppen und Rechteinhaber unterschiedlich gewichte. Es gelte dabei jedoch zumindest beim Kapitel zur Copyright-Durchsetzung im Internet die dazu gültige, allgemeine Bestimmung zu beachten. Demnach müssen entsprechende Maßnahmen die Verhältnismäßigkeit zwischen der Schwere der Rechtsverletzung, den Interessen Dritter sowie den anzuwendenden Mitteln beziehungsweise Strafen im Auge behalten. Letztlich komme es hier aber wieder auf die nationalen Implementierungen an, die gegebenenfalls durch Gerichte der Mitgliedsstaaten überprüft werden müssten.

Keine letzte Klarheit kann der Rechtsdienst auch in der Frage schaffen, inwieweit Handlungen privater Nutzer, die persönlichen und nicht auf Profit bedachten Zwecken dienen, straffrei blieben. Dabei geht es vor allem um Filesharing. ACTA stelle hier auf "kommerzielle Tätigkeiten" ab, aus denen ein "direkter oder indirekter wirtschaftlicher oder gewerblicher Vorteil" erwachsen könne, schreiben die Juristen. Unterzeichner des Vertrags seien also nicht verpflichtet, strafrechtlich gegen private User vorzugehen. Die Entscheidung, wie weit die Sanktionen konkret gehen sollen, könnten aber wiederum die einzelnen EU-Staaten treffen.

Nicht zuletzt beharrt der Juristische Dienst darauf, dass nicht alle Vorarbeiten für das Abkommen veröffentlicht werden müssten. Wenn Dokumente ursprünglich nicht direkt von Verhandlungspartnern stammten, sei es gerechtfertigt, diese ohne Zustimmung der Betroffenen nicht der Allgemeinheit zugänglich zu machen. Die Abgeordneten selbst hätten aber einen Anspruch darauf, auch solche Informationen einzusehen. Die EU-Kommission hat die Verhandlungstexte von April, Oktober und November 2010 sowie die Schlussversion veröffentlicht. Eine weitere Offenlegung hält auch die Bundesregierung "nur im Einvernehmen mit den Beteiligten" für möglich. Vertraulichkeit zu wahren, entspreche der allgemeinen Praxis bei Freihandelsabkommen. (mho)