Warnung vor "Global Warming" des Patentwesens

Die neue Präsidentin des Europäischen Patentamtes, Alison Brimelow, hat sich Bedenken rund um eine Überhitzung des Systems der gewerblichen Schutzrechte angeschlossen, Kritik am Prüfsystem der Behörde aber zurückgewiesen.

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Die angehende neue Präsidentin des Europäischen Patentamtes (EPA), Alison Brimelow, hat sich Bedenken rund um eine Überhitzung des Patentwesens angeschlossen. Angesichts des internationalen Problems der ständig wachsenden Nachfrage an gewerblichen Schutzrechten warnte die Britin in einem Interview mit dem Fachinformationsdienst Managing Intellectual Property (MIP) vor einem "Global Warming" des Patentsystems. Sie rechne daher damit, dass ihre am Sonntag beginnende und drei Jahre dauernde Amtszeit "turbulent" werde. Ihr Hauptziel sei es, die Münchner Behörde "fit für die Zukunft" zu machen, erklärte die auf Kuba geborene Diplomatentochter. Die auch in den eigenen Reihen nicht verstummende Kritik am Prüfsystem des EPA wies Brimelow aber genauso zurück, wie es der scheidende Präsident Alain Pompidou immer wieder getan hatte.

Patentprüfer und Gewerkschaftsführer des EPA hatten gemeinsam mit ihren Kollegen aus den USA, Kanada, Österreich und Deutschland bereits Mitte April Alarm geschlagen, da sie die Qualität der Patenterteilung und damit den Bestand des ganzen Systems angesichts wachsender Produktivitätsvorgaben und zunehmend komplexerer Anträge auf gewerbliche Schutzrechte nicht mehr gewährleistet sehen. Besonders umstritten sind innerhalb des Europäischen Patentamts neue Produktivitätsvorgaben für die Prüfer, die ironischerweise unter dem Titel PAX (Productivity Assessment for Examiners) firmieren. Gewerkschaftsvertreter kritisieren, dass die darin angelegten Prüfkriterien allein auf einen möglichst hohen quantitativen Ausstoß an zeitlich befristeten Monopolrechten ausgerichtet seien. Nach mehreren Streiks und Protestaktionen der Prüfer im vergangenen Jahr setzte das EPA-Management das umkämpfte Bewertungssystem zunächst bis Ende 2007 aus.

Laut Brimelow hätte PAX nicht die von den Fachkollegen befürchteten Folgen. Sie hofft daher, dass das neue Produktivitätsschema 2008 doch noch erfolgreich gestartet werden kann. "Ich habe noch nie irgendwo gearbeitet, wo Leistungsbeurteilungen mit Begeisterungsstürmen begrüßt wurden", hielt sie den Bedenkenträgern entgegen. Sie werde sich bemühen, die Hintergründe und Erforderlichkeiten der Maßnahme besser zu kommunizieren. Dafür wolle sie unter anderem ein internes Weblog aufsetzen, um den Informationsfluss von oben nach unten unbürokratischer zu gestalten.

Gleichzeitig machte sich die ehemalige Chefin des britischen Patentamtes für eine weitere Harmonisierung des weltweiten Patentsystems stark. Dabei denke sie nicht nur an die bereits etablierten trilateralen Verhandlungsrunden zwischen den Patentbehörden Europas, der USA und Japans. Vielmehr gehe es etwa auch um die Einbeziehung weiterer asiatischer Länder wie China oder Korea: "Ich weiß nicht, wie man ohne Kooperation an einem globalen Patentsystem und den Problemen der Feststellung des Stands der Technik arbeiten kann." Im Idealfall sollten daher die Ergebnisse entsprechender Prüfungen der Patentliteratur zwischen den großen Patentämtern geteilt werden.

Beim EPA gehen derweil die aktuellen, vergangene Woche aufgenommenen Streiks und Demonstration weiter. Am gestrigen Dienstag machten rund 2000 Mitarbeiter lautstark auf ihrer Ansicht nach herrschende Missstände innerhalb der Behörde aufmerksam. Bei der Arbeitsniederlegung wurde in München nur noch der Betrieb im Servicebereich aufrechterhalten. Auch in derDen Haager Niederlassung legte nach Angaben der Gewerkschaft des Europäischen Patentamtes (SUEPO) gleichzeitig ein Großteil der Belegschaft die Arbeit nieder.

Die Streikenden richten sich mit ihrem Unmut dieses Mal insbesondere gegen mehrere Entscheidungen des Verwaltungsrates, die nach Ansicht der SUEPO zum Nachteil des EPA gefällt wurden. So geht es etwa um einen Vorschlag der Schweizer Delegation im Verwaltungsrat, der Mitte dieser Woche zur Abstimmung kommen soll und laut Gewerkschaftsangaben den Haushalt der Behörde um 80 Millionen Euro belasten würde. Die 32 Mitgliedstaaten der Dachinstitution des EPA in der Europäischen Patentorganisation könnten diesen Betrag in ihren nationalen Budgets dagegen einsparen, kritisiert SUEPO. Ein weiterer Schwerpunkt der Proteste ist der Streit um den Erhalt eines qualitativ hochwertigen Patentes, das der Gewerkschaft zufolge durch die Verwaltungsrats-Entscheidungen einer fragwürdigen Quantität zum Opfer fallen würde.

Zum Patentwesen sowie zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente und um die EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit "computer-implementierter Erfindungen" siehe den Online-Artikel in "c't Hintergrund" (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den aktuellen Meldungen):

(Stefan Krempl) / (jk)