Monetäre Mobilität
Dank des Internets lässt sich Geld heute so schnell und einfach bewegen wie nie zuvor. Nun müssen wir das Geldsystem an sich, bis hin zum Bargeld, vollständig in die vernetzte Welt integrieren, fordert Ignacio Mas.
- Ignacio Mas
Dank des Internets lässt sich Geld heute so schnell und einfach bewegen wie nie zuvor. Nun müssen wir das Geldsystem an sich, bis hin zum Bargeld, vollständig in die vernetzte Welt integrieren, fordert Ignacio Mas.
Geld ist eine gemeinsame Sprache, in der wir uns über den Wert der Dinge verständigen. Seit die Chinesen vor 3000 Jahren begannen, Kaurie-Muscheln als eine frühe Form von Geld zu benutzen, haben Kulturen in aller Welt verschiedenste Arten von Währungen verwendet. Allen gemeinsam: Sie mussten tragbar, teilbar und haltbar sein. Dabei hat sich Geld zunehmend entmaterialisiert. Physische Objekte wie Goldstücke wichen Papiergeld, und heute existiert ein Großteil des Geldes nur noch als Bits in Rechnersystemen.
Dank der Ausbreitung digitaler Kommunikationstechnologien können wir heute Geld einfacher und schneller als je zuvor handhaben – ob wir auf dem Smartphone unser Konto checken, über den Magnetstreifen einer Plastikkarte bezahlen oder Aktien online handeln. Doch verglichen mit der Geschwindigkeit, mit der wir finanzielle Transaktionen abwickeln, hat sich unser Konzept des Geldes nicht annähernd so radikal weiterentwickelt.
Online-Banking ist zwar bequem, aber seine Funktionen unterscheiden sich nicht von dem, was an einem Bankschalter abgewickelt wird. Die verfügbaren Kontoarten zum Beispiel sind dieselben geblieben. Wenn Sie etwas von einem Giro- auf ein Sparkonto überweisen, kümmert es die Bank nicht, ob das Geld für die spätere Ausbildung eines Kindes angelegt oder für den nächsten Urlaub gespart wird. Warum können Sie nicht für jeden Sparbrief, den Sie kaufen, das Fälligkeitsdatum selbst festlegen – etwa auf den letzten Tag, bevor Sie zu einer langen Weltreise aufbrechen?
Schuld ist die Phantasielosigkeit etablierter Banken. Die müssen sich nicht wundern, wenn sie nun von neuen Akteuren Konkurrenz bekommen, die in der Kundenbetreung oder im Design von Nutzer-Oberflächen innovative Ideen entwickeln. Beispiele sind Mint.com, das sämtliche Konten und Finanzinformationen an einer Stelle bündelt, oder Simple, eine alternative Bank mit geringeren Gebühren und besserem Service.
Mobile Bezahldienste betrachten viele Finanzunternehmen immer noch als lästige Komplikation und nicht als zukunftsweisende Dienstleistung. Dabei ist die Vorstellung, jederzeit mit dem eigenen Konto verbunden zu sein, doch unwiderstehlich. Als elektronische Geräte noch teuer waren, war es naheliegend, Kartenlesegeräte nur an Händler auszugeben. Aber jetzt können wir in jedem Mobiltelefon ein virtuelles Kartenlesegerät installieren – warum sollen wir uns dann mit Kreditkarten zufrieden geben, die wir selbst nicht auslesen können?
Noch profitieren Banken und Karteninstitute von dem unbefriedigenden Status quo. Aber lange warten dürfen sie nicht mehr. Schon haben sich die ersten Nichtbanken ins Geschäft mit mobilen Bezahlsystemen eingeschlichen. Google interessiert sich dafür, weil es sich neue Daten von seinen Kunden verspricht. Apple hat für die App-Welt ein simples System gefunden, bei dem man mit einem Knopfdruck eine Anwendung kaufen kann. Paypal arbeitet an einem Konzept, bei dem jedes Email-Konto, jede Handynummer mit einem eigenen Bezahlkonto verknüpft wird. Und das größte mobile Bezahlsystem in den USA wird derzeit von der Café-Kette Starbucks betrieben.
Auch die Ermittlung der Kreditwürdigkeit ist reif für Innovationen. Bislag basiert sie ausschließlich auf Daten, die aus vorherigen finanziellen Transaktionen eines Kunden stammen. Warum nicht auch Informationen aus sozialen Netzwerken berücksichtigen? Menschen, die mich kennen, hätten vielleicht Erhellenderes über meinen Charakter und meine finanziellen Gewohnheiten zu sagen. Genau das versucht Lenddo: Es ergänzt den Kredit-Score um einen Score, der sich aus dem “sozialen Graphen” eines Kunden ergibt – also seiner Vernetzung in Facebook und anderen Diensten. Online-Freunde können Empfehlungen abgeben, und wer mehr über sich preisgibt, kann bessere Kreditkonditionen bekommen. Umgekehrt kann Lenddo auch eine neue Form von Druck auf den Kreditnehmer ausüben, wenn es sich die Möglichkeit vorbehält, dessen finanzielle Verfehlungen dem sozialen Netz mitzuteilen.
Weiten wir den Blick noch etwas, ist es denkbar, die Überwachung der Kreditwürdigkeit auf das gesamte Finanzsystem auszuweiten. Bislang werden Finanzdienstleister nur einzeln überprüft. Wie aber das gesamte System funktioniert, überblickt kaum jemand – die globale Finanzkrise hat diesen Missstand schonungslos offengelegt. Viele von uns waren überrascht, wie sehr die Risiken der Geldhäuser miteinander verwoben waren. Dem Finanzsystem fehlt einfach ein “Gehirn”, dass systemische Risiken bewerten kann. Das heißt aber nicht, dass es solch ein Gehirn nicht geben könnte. Ich denke da an ein transparentes, Google-artiges System, das alle relevanten Informationen über derartige Probleme sammelt.
Die neuen Akteure in der Welt der Finanzdienstleistungen haben allerdings an einem kein Interesse: das Geld der Kunden selbst zu verwalten. Sie positionieren sich als Mittler in den Geldflüssen und überlassen die Kontoführung gerne den traditionellen Banken mit ihrer Infrastruktur aus Geldautomaten, Filialen und Kontenservern. Die Notwendigkeit dieser Infrastruktur hat jedoch vor allem in Entwicklungsländern die Ausbreitung von Finanzdienstleistungen behindert. Für die etablierten Banken rechnet es sich nicht, Geldautomaten und Filialen auf dem Land oder in den Slums der Metropolen zu aufzubauen. Mit dem Ergebnis, dass derzeit rund 2,5 Milliarden Menschen ohne eigenes Konto leben. Sie bleiben in der Bargeld-Wirtschaft gefangen.
Doch auch das globale Finanz-Hinterland ist bereits in Bewegung: Brasilianische Banken waren die ersten, die Geldtransaktionen über Einzelhändler ermöglicht haben. Warum sollte man dort nur Reis, Suppe oder Getränke kaufen können? Die Technik ist da, um auch hier, in der Peripherie, physisches in elektronisches Geld und umgekehrt umzutauschen. In Kenia hat der Mobilfunkbetreiber Safaricom inzwischen ein Netz aus 30.000 Läden aufgebaut, in denen Kunden Geld auf mobile M-PESA-Konten einzahlen oder von diesen abheben können. Das sind 200 Mal mehr Filialen, als die größte kenianische Bank hat. Vor fünf Jahren gestartet, nutzen inzwischen 17 Millionen Kenianer – drei Viertel der erwachsenen Bevölkerung – das M-PESA-System.
Sogar die Banknoten selbst ließen sich modernisieren. Im Wettrüsten gegen Fälscher hat man sie zwar mit immer ausgefeilteren Technologien wie Spezialtinten, Hologrammen oder Polymerzusätzen aufgemotzt. Aber elektronisch betrachtet sind sie bisher ein unbeschriebenes Blatt. Ich schlage deshalb eine Art “intelligente Banknote” vor: Per Handy überträgt man von einem Konto einen Betrag auf den Schein, der – mit einer digitalen Tinte versehen – augenblicklich seinen neuen Wert anzeigt. Auf diese Weise würde das Mobiltelefon zum Geldautomaten.
Denn dass Bargeld überflüssig wird, glaube ich nicht. Wer möchte schon jedesmal, wenn er bezahlt, sein gesamtes Bankkonto entblößen? Der Vorteil an Bargeld ist, dass es einen fixierten Wert hat und immer funktioniert – ohne Zusatzgerät. Anstatt freudig das Ende des Bargelds auszurufen, wie einige es tun, sollten wir besser seine und die Vorteile der Digitaltechnik miteinander verbinden, in dem wir es in die elektronische Welt integrieren.
Weil Geld und Bankenwesen stark reguliert sind, werden sie wohl der letzte informationsbasierte Wirtschaftssektor sein, der vom Internet erschüttert wird. Es ist auch die Regulierung, die bisher verhindert hat, dass Banken sich ganz und gar um den Kunden herum organisieren. Doch ich bin überzeugt, dass der technische Fortschritt hiervor nicht Halt machen wird: Eines Tages wird nichts mehr zwischen mir, meinem Geld und meinen Geräten stehen.
Ignacio Mas ist Berater für mobile Finanztechnologien. Er war zuvor stellvertretender Direktor im Financial Services for the Poor Programm der Bill & Melinda Gates Foundation sowie Direktor für Globale Business-Strategien der Vodafone Group.
(nbo)