Wettlauf ums Wissen kritisch betrachtet

Das expansive Patentieren führe ebenso wie die Ausdehnung des Urheberrechte dazu, dass bereits jetzt massiv Rechtsbruch auftrete: Fast jeder verletze Rechte, ohne dies zu wissen, hieß es auf der Tagung "Can Knowledge be made just?".

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Von
  • Monika Ermert

Eine deutliche Expansion von Patentierungen konstatierte Hans-Peter Götting, Urheberrechtsexperte an der Technischen Universität Dresden, bei der Tagung "Can Knowledge be made just?". Die Tagung des Essener Kulturwissenschaftlichen Instituts und der Alcatel-Stiftung befasste sich mit der Verteilung von Wissen in der Wissensgesellschaft und den Gefahren, die eine Zunahme an Wissen über das Individuum mit sich bringt.

"Im Bereich der Biopatente", sagte Götting gegenüber heise online, "werden heute Dinge patentiert, die noch vor wenigen Jahren als unpatentierbar gegolten haben." Eine ähnliche Entwicklung sieht der Jurist auch im Bereich Softwarepatenten. "Unser Ausgangspunkt war, dass Software nicht patentierbar ist", betonte Götting. Die im Rahmen der Debatte um die Softwarepatentrichtlinie der EU eingeführte Differenzierung zwischen Software und computerimplementierten Erfindungen sei in der Praxis kaum zu ziehen, fürchtet er.

Götting sieht allerdings mit der möglichen Umsetzung der Richtlinie lediglich eine Bestätigung der bereits geltenden Praxis zunehmender Patentierung. Schon heute gingen die Softwarepatente in die Tausende, eine künftig stärkere Verfolgung von Verletzungen will er aber nicht ausschließen. Das expansive Patentieren führe übrigens ebenso wie die Ausdehnung des Urheberrechte dazu, dass bereits jetzt massiv Rechtsbruch auftrete: Fast jeder verletze Rechte, ohne dies zu wissen.

Vor den negativen Effekten des Runs auf Patentrechte warnte der US-Sozialwissenschaftler Roger Hollingsworth. "Mit viel Geld werden an den Top20-Universitäten heutzutage diejenigen belohnt, die die meisten Lizenzgebühren einspielen", sagte Hollingsworth. Grundlagenforschung, deren Effekte oft erst nach Jahrzehnten wirksam würden, werde auf Grund dieses Trends mehr und mehr vernachlässigt. Hollingsworth, der sich selbst durchaus als Befürworter von Patent- und Urheberrechten bezeichnete, fürchtet, dass die USA dadurch ihre Spitzenstellung einbüßen könnten.

In der Tat, sagte Götting, seien die für einen starken Schutz der Rechte ins Feld geführten positiven Anreizeffekte unbewiesen. Auf die hatte zum Auftakt der Tagung auch Alfred Hartenbach, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium verwiesen: "Sie können weder beweisen, dass der Schutz sich positiv auswirkt, noch können sie nachweisen, dass das nicht der Fall ist." Harvard-Forscher Victor Mayer-Schönberger erinnerte daran, dass die verschiedenen Theorien, die für den Schutz von Kreativen und Rechteinhabern im Lauf der Jahrhunderte bemüht wurden, immer auch vor dem Hintergrund jeweils handfester politischer Auseinandersetzungen zu beurteilen sind. Dass John Locke heute als Übervater des Urheberrechts gelte, stehe etwa bei einer Analyse seiner "Two Treatises of Government" auf wackeligen Füßen. Und Mozart -- von dem Hartenbach beklagte, er habe nicht einmal würdig begraben werden können -- sei doch eher ein Superstar gewesen, der über seine Verhältnisse gelebt habe.

Als deutliche Reaktion auf die Ausweitung des Kampfes um die Rechte können die Anstrengungen in Entwicklungsländern und bei indigenen Völkern betrachtet werden. Rund 10.000 Erfindungen der "kleinen Leute" hat etwa die Inititive Honey Bee Network in den vergangenen Jahren gesammelt, das Anil Gupta vom Indian Institute of Management in Essen vorstellte. Für Gupta gibt es einen Unterschied zwischen "rechtmäßigem" und "fairem" Schutz von Erfindungen und Entwicklungen. Gerade traditionelles Wissen eigneten sich Forscher oder westliche Unternehmen häufig durchaus rechtmäßig an. Am möglichen kommerziellen Ertrag oder an Weiterentwicklungen, etwa neuen Medikamenten oder auch nur dem in der Wissensgesellschaft so wichtigen Faktor Aufmerksamkeit, haben die eigentlichen Urheber dann keinen Anteil mehr. Fair ist das nicht, betonte Gupta. Allerdings warnte Wolfgang van den Daele, Direktor der Abteilung Zivilgesellschaft und transnationale Netzwerke am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, auch hier davor, über den häufig für die Betroffenen wenig ertragreichen Kampf ums Geistige Eigentum Fragen nach dem Anspruch auf politische Rechte und nach dem Eigentum am eigenen Land zu vergessen. (Monika Ermert) / (jk)